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Republik oder Empire

In Nordirland steht der Friedensprozeß zur Abstimmung

Von Aljoscha Kertesz*

In Nordirland steht der Friedensprozeß zur Abstimmung. Kommt es zur Bildung einer irisch-britischen Regierung oder wird die Region weiter direkt aus London verwaltet?

Am heutigen Mittwoch (7. März 2007) ist Wahltag, und 1,7 Millionen Nordiren sind dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu bestimmen. Im Anschluß haben die Parteien knapp drei Wochen Zeit, eine tragfähige Regierung zu bilden, in der die beiden verfeindeten Lager vertreten sind: die Verfechter der Republik ebenso wie die Anhänger des britischen Empire. Sollte dies nicht gelingen, wird die Region auf unbestimmte Zeit weiterhin direkt aus London verwaltet.

Im Jahr 2002 suspendierte die britische Regierung das nordirische Parlament. Seitdem wird die Unruheregion direkt aus der britischen Hauptstadt regiert. In den vergangenen Monaten allerdings kam der ins Stocken geratene Friedensprozeß in Fahrt. Sinn Fein als stärkste republikanische Partei erkannte erstmals die nordirischen Sicherheitsorgane an, die Democratic Unionist Party (DUP) erklärte sich grundsätzlich zu einer Regierungsbeteiligung unter Einbeziehung der Republikaner bereit. Daraufhin rief die britische Regierung Ende Januar Neuwahlen in ihrer Provinz aus.

Auf den ersten Blick sieht es nach einem ganz normalen Wahlkampf aus, was sich seit Anfang Februar auf den Straßen in Belfast, Omagh und Derry abspielt. Plakate mit Konterfeis von Politikern sowie Parteislogans säumen die Straßen. Kandidaten sprechen in gefüllten Sälen, und die Parteibasis wirbt an Haustüren in der Nachbarschaft um Unterstützung an der Wahlurne – Szenen, die sich auch in London, Birmingham oder Brighton abspielen könnten. Und doch ist hier alles anders. Es stehen sich zwei Blöcke gegenüber, deren primäre Ziele nicht unterschiedlicher sein könnten. Während die Unionisten für den Verbleib Nordirlands im Verbund mit dem Vereinigten Königreich werben, treten die Republikaner für den Zusammenschluß Nordirlands mit der Irischen Republik ein.

Innerhalb beider Blöcke gibt es jeweils zwei dominierende Parteien, die um die Vorherrschaft kämpfen. Bei den pro-britischen, evangelischen Kräften sind es neben der rechts-militanten, vom Pfarrer Ian Paisley geführten DUP die kleinere Ulster Unionist Party (UUP). Bei den pro-irischen, meist katholischen Nationalisten bewerben sich die sozialdemokratische SDLP (Social Democratic Labour Party) und die linke Sinn Fein (SF) um die Stimmen. Sinn Fein strebt ein vereinigtes, sozialistisches Irland an; die SDLP hat hervorragende Kontakte zur britischen Labour Party von Anthony Blair.

Insgesamt bewerben sich knapp 250 Kandidaten in 18 Wahlkreisen um die 108 Mandate im Stormont, dem Regionalparlament in Belfast. Neben den vier großen Parteien kämpfen auf beiden Seiten des politischen Spektrums kleine Parteien und Einzelbewerber. Im Wettbewerb der Großen haben sie nur Chancen auf einzelne Mandate.

Laut des Karfreitagsabkommens von 1998, das dem gegenwärtigen Friedensprozeß zugrunde liegt, sind die beiden größten Parteien jeder Bevölkerungsgruppe an der Regierung zu beteiligen. Nach der Wahl haben die Parteien genau 19 Tage Zeit, sich auf eine Regierung zu einigen. In der Vergangenheit scheiterten derartige Bemühungen an der starren Haltung der DUP, mit den Sinn-Fein-Vertretern zu verhandeln. Erst die Drohung des britischen Nordirland-Ministers Peter Hain, im Fall des Scheiterns der Koalitionsgespräche die irische Regierung an der Verwaltung der Region zu beteiligen, brachte die Politiker der DUP zum Einlenken.

Sollte es auch diesmal nach dem Wahltag nicht zu einer Einigung kommen, wäre der Friedensprozeß akut gefährdet. Nordirland würde wohl auf unabsehbare Zeit aus London und Dub­lin verwaltet werden.

* Aus: junge Welt, 7. März 2007


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