"Doctor No" wird Nordirlands First Minister
Vereinbarung über Regierungsbildung ab 8. Mai gilt als historisches Ereignis
Von Axel Reiserer, Belfast *
Nachdem sich Nordirlands verfeindete Lager auf die Bildung einer Regierung bis zum 8. Mai geeinigt
haben, muss das britische Parlament den Weg dazu frei machen: Ein Gesetz, das die
Regierungsbildung sechs Wochen nach dem ursprünglich von London geforderten Zeitpunkt
absegnet, sollte noch am Dienstagabend verabschiedet werden. Mit parteienübergreifender
Zustimmung wurde gerechnet.
Zu einem öffentlichen Händedruck hatten sich die beiden nicht durchringen können. Doch Anlass zu
Feierlichkeit hätten Ian Paisley, Chef der probritischen Democratic Unionist Party (DUP), und Gerry
Adams, Präsident der irisch-republikanischen Partei Sinn Fein (Wir selbst), am Montag durchaus
gehabt: Die beiden führenden Vertreter der verfeindeten Lager Nordirlands einigten sich bei ihrem
ersten persönlichen Treffen auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung für die Provinz am 8.
Mai.
Obwohl beide seit Menschengedenken die namhaftetsten Gegenspieler des Nordirland-Konflikts
sind, hatten Paisley und Adams zuvor noch nie direkt miteinander gesprochen. Verhandlungen
fanden stets über Mittelsmänner statt. Die Gefahr, die wohl letzte Chance für den Friedensprozess in
Nordirland für lange Zeit zu verpassen, zwang sie jedoch endlich an einen Tisch. Denn über
Unionisten und Republikanern schwebte als Damoklesschwert ein Ultimatum der britischen
Regierung: Hätten sich die Konfliktparteien nicht auf eine gemeinsame Regierung geeinigt, hätte
London die seit 2002 aufgehobene Selbstverwaltung der Provinz auf Dauer kassiert.
Paisley erklärte denn auch nach der Vereinbarung mit Adams: »Wir wollten immer eine
Selbstverwaltung unter Bedingungen, die für alle Menschen eine Verbesserung bringen.« Adams
sprach gar vom »Beginn einer neuen Ära«. Die Regierungen in London und Dublin als Schutzherren
des Friedensprozesses begrüßten die Einigung.
Gestärkt durch ihren Erfolg bei der Parlamentswahl Anfang März, bei der die Wähler die starrköpfige
Haltung der Partei Paisleys mit satten Zugewinnen belohnt hatten, pokerten die Unionisten bis zur
letzten Sekunde. Ursprünglich hatte London schon für Montag eine gemeinsame Regierung
verlangt. Die DUP bestand jedoch wegen Vorbehalten gegenüber Sinn Fein auf einer Verschiebung
um sechs Wochen.
Zwar hatte sich Sinn Fein, die führende Partei der Republikaner, im Januar zur Anerkennung von
Polizei und Justiz in Nordirland durchgerungen. Wegen ihrer Verbindungen mit der mittlerweile
aufgelösten Untergrundarmee IRA trauen ihr aber viele Unionisten immer noch nicht über den Weg.
In den verbleibenden sechs Woche sollte jedoch nichts mehr schief gehen, denn die Republikaner
wollen mehr als jede andere Partei die Rückkehr zur Selbstverwaltung: Damit wird am 8. Mai der 81-
jährige Pastor Paisley, dessen Starrsinn ihm einst den Spitznamen »Doctor No« eintrug, zum First
Minister Nordirlands. Sein Stellvertreter soll ein nicht weniger umstrittener Mann werden: Sinn Fein
hat den früheren IRA-Chef Martin McGuinness nominiert. Bei der Zusammenarbeit dieser beiden
Männer könnte sich herausstellen, dass die zähen Verhandlungen der letzten Jahre noch der
leichtere Teil des Weges zu einem echten Frieden in Nordirland waren.
In der britischen Presse wurde die Einigung jedenfalls als historisches Ereignis gewürdigt. Die
Boulevardzeitung »Daily Mail« schrieb von einem Zeitenwechsel. Und der »Daily Mirror«
kommentierte, Paisley und Adams hätten endlich die Weitsicht gezeigt, »der sie sich in der
Vergangenheit entzogen«. Der konservative »Daily Telegraph« schrieb, es habe auf beiden Seiten
bedeutsame Zugeständnisse gegeben: Für die DUP waren die Freilassung paramilitärischer
Gefangener sowie überhaupt die Machtteilung mit Sinn Fein bittere Pillen, die es zu schlucken galt.
Und für Sinn Fein waren die Entwaffnung und Auflösung der IRA sowie die Anerkennung der
Legitimität der Polizei in Nordirland bedeutende Schritte. Die spanische Tageszeitung »El País«
hofft, dass auch die Akteure des Basken-Konflikts, die sich häufig an Nordirland orientiert haben,
daraus ihre Lehren ziehen.
* Aus: Neues Deutschland, 28. März 2007
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