Pflug und Sterne
Nordirland: In seiner Dauerkrise besteht die Verlässlichkeit des Friedensprozesses
Von Lutz Herden
Im Folgenden dokumentieren wir in gekürzter Form einen Beitrag aus dem "Freitag" vom 20. Juli 2001.
...
Der nordirische Premier und Protestant David Trimble musste seinen
Rücktritt am 1. Juli nicht zwangsläufig mit der stagnierenden
Demilitarisierung der katholischen Irish Republican Army (IRA) begründen.
Er hätte auch demissionieren können, weil die Reform der Royal Ulster
Constabulary (RUC), der unionistisch dominierten nordirischen Polizei,
nicht einmal ansatzweise begonnen hat, obwohl auch das mit dem
Karfreitagsabkommen klar vereinbart ist. Diesem Vertrag von 1998 verdankt
schließlich die Allparteien-Regierung in Belfast ihre Existenz.
Doch den Verzicht auf die RUC in ihrer jetzigen Form betrachtet eben eine
Mehrheit der protestantischen Community nach wie vor als Sakrileg wie
Teile der katholischen Bevölkerung ihrerseits eine Entwaffnung der IRA. ...
Die Entwaffnungsfrage offenbart im .. jenseits aller hitzigen
Konfessionalität den entscheidenden Defekt im genetischen Code des
Allparteien-Agreements vom Karfreitag 1998: Es fehlt eine überparteiliche
Instanz, die mit "vollziehender Gewalt" getroffene Regelungen durchsetzt.
Der Staat Großbritannien kommt dafür kaum in Betracht: Er kann als
Vertragsmentor nicht zugleich Exekutor sein, weil er auch als Protektor
Nordirlands weiter seinen Part spielt. Anders gesagt: Die diplomatische
Schutzmacht des Friedensprozesses agiert zugleich als politische wie
militärische Schutzmacht der protestantischen Mehrheit, die ihre Treue
zum Vereinigten Königreich belohnt wissen will. Deshalb gibt es kein
Junktim zwischen einer Waffenabgabe der IRA und einem Abzug der
britischen Truppen - deshalb treibt der Friedensprozess regelmäßig mit
traumwandlerischer Sicherheit seinem toten Punkt entgegen.
Das Karfreitagsabkommen ermahnt wohl die - gemessen am
Bevölkerungsanteil - stärkeren Protestanten, den Anspruch der
schwächeren Katholiken auf gleiche Rechte zu respektieren, doch haben
sich die im Gegenzug damit abzufinden, dass der Stärkere stets der
Stärkere bleibt. Das steht zwar nirgends, ist aber so gemeint. Die dafür
zuständige Formel im Vertrag lautet: Jede staatliche Vereinigung
Nordirlands mit der katholischen Republik Irland ist ausgeschlossen - der
Status Nordirlands als Bestandteil Großbritanniens bleibt demgegenüber
bestehen, bei weitreichender Autonomie, versteht sich.
Mit dieser rechtlich verbindlichen "Ungerechtigkeit" ist die nordirische
Détente auf eine Dauerkrise abonniert, wobei auf den ersten Blick vieles an
den Nahen Osten erinnern mag. In Wirklichkeit jedoch sind die
Unterschiede gravierend: Zunächst einmal weist das Kräfteverhältnis
zwischen Protestanten und Katholiken kein derart extremes Gefälle auf wie
das zwischen Israelis und Palästinensern. Auch ist im "Konfliktgebiet" kein
neuer Staat in Sicht, gibt es außerdem mit Großbritannien eben nicht nur
eine Schutz-, sondern auch eine Garantiemacht des Friedensprozesses,
die alte und neue Brandherde des Konflikts allein schon deshalb löschen
muss, weil sie viel unmittelbarer betroffen (Terroranschläge, Militärpräsenz)
ist als es etwa die USA im Nahen Osten sind.
Nicht zuletzt wegen dieser Verstrickung Londons mussten und müssen
seit Mitte der neunziger Jahre verstärkt externe Vermittler bemüht werden:
Man denke an US-Senator George Mitchell, den Paten des
Karfreitagsabkommens, den finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari
oder John de Chastelain (Kanada), den jetzigen Chef der
Entwaffnungskommission ...
Dennoch bleibt die Verständigung ohne Alternative. Denn was brächte die
Suspendierung einer Regionalexekutive aus Unionisten und Republikanern,
die in den vergangenen Monaten durchaus zu regieren verstand? Wem -
außer den Extremisten beider Seiten - nützt eine erneute
Zwangsverwaltung durch die britische Zentralregierung? Immerhin konnte
das Konkordanzkabinett unter dem Protestanten Trimble ein
Haushaltsbudget wie auch ein eigenes Regierungsprogramm vorgelegen.
Der Konsens darüber war Parteien zu danken, die sich noch vor drei
Jahren als Kombattanten eines schwelenden Bürgerkrieges
gegenüberstanden.
Weshalb trotzdem die Abrüstung der IRA zur Kardinalfrage für die
Regierung hochgespielt wird, liegt auf der Hand - Kabinettschef Trimble hat
sich kurz vor jenem kritischen Augenblick aus der Verantwortung
entlassen, da wie jedes Jahr mit den Oraniermärschen zur Mobilmachung
gegen jede Aussöhnung gerufen wurde. Der Stimmenzuwachs für die
radikal-unionistische Democratic Unionist Party (DUP) des Pfarrers Paisley
bei den britischen Unterhauswahlen am 7. Juni war zudem ein Indiz dafür,
wie das Hinterland der gemäßigten Unionisten um Trimble schrumpft.
Gleich zwei prominente Parlamentarier seiner Unionist Ulster Party (UUP)
wollten am 7. Juni nicht zur Wiederwahl antreten: Parteivize John Taylor
und Sicherheitssprecher Ken Maginnis - ein deutlicheres
Misstrauensvotum gegen Trimble aus den eigenen Reihen konnte es kaum
geben.
...
Aus: Freitag 30, 20. Juli 2001
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