Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Pflug und Sterne

Nordirland: In seiner Dauerkrise besteht die Verlässlichkeit des Friedensprozesses

Von Lutz Herden

Im Folgenden dokumentieren wir in gekürzter Form einen Beitrag aus dem "Freitag" vom 20. Juli 2001.

...
Der nordirische Premier und Protestant David Trimble musste seinen Rücktritt am 1. Juli nicht zwangsläufig mit der stagnierenden Demilitarisierung der katholischen Irish Republican Army (IRA) begründen. Er hätte auch demissionieren können, weil die Reform der Royal Ulster Constabulary (RUC), der unionistisch dominierten nordirischen Polizei, nicht einmal ansatzweise begonnen hat, obwohl auch das mit dem Karfreitagsabkommen klar vereinbart ist. Diesem Vertrag von 1998 verdankt schließlich die Allparteien-Regierung in Belfast ihre Existenz.

Doch den Verzicht auf die RUC in ihrer jetzigen Form betrachtet eben eine Mehrheit der protestantischen Community nach wie vor als Sakrileg wie Teile der katholischen Bevölkerung ihrerseits eine Entwaffnung der IRA. ...

Die Entwaffnungsfrage offenbart im .. jenseits aller hitzigen Konfessionalität den entscheidenden Defekt im genetischen Code des Allparteien-Agreements vom Karfreitag 1998: Es fehlt eine überparteiliche Instanz, die mit "vollziehender Gewalt" getroffene Regelungen durchsetzt. Der Staat Großbritannien kommt dafür kaum in Betracht: Er kann als Vertragsmentor nicht zugleich Exekutor sein, weil er auch als Protektor Nordirlands weiter seinen Part spielt. Anders gesagt: Die diplomatische Schutzmacht des Friedensprozesses agiert zugleich als politische wie militärische Schutzmacht der protestantischen Mehrheit, die ihre Treue zum Vereinigten Königreich belohnt wissen will. Deshalb gibt es kein Junktim zwischen einer Waffenabgabe der IRA und einem Abzug der britischen Truppen - deshalb treibt der Friedensprozess regelmäßig mit traumwandlerischer Sicherheit seinem toten Punkt entgegen.

Das Karfreitagsabkommen ermahnt wohl die - gemessen am Bevölkerungsanteil - stärkeren Protestanten, den Anspruch der schwächeren Katholiken auf gleiche Rechte zu respektieren, doch haben sich die im Gegenzug damit abzufinden, dass der Stärkere stets der Stärkere bleibt. Das steht zwar nirgends, ist aber so gemeint. Die dafür zuständige Formel im Vertrag lautet: Jede staatliche Vereinigung Nordirlands mit der katholischen Republik Irland ist ausgeschlossen - der Status Nordirlands als Bestandteil Großbritanniens bleibt demgegenüber bestehen, bei weitreichender Autonomie, versteht sich.

Mit dieser rechtlich verbindlichen "Ungerechtigkeit" ist die nordirische Détente auf eine Dauerkrise abonniert, wobei auf den ersten Blick vieles an den Nahen Osten erinnern mag. In Wirklichkeit jedoch sind die Unterschiede gravierend: Zunächst einmal weist das Kräfteverhältnis zwischen Protestanten und Katholiken kein derart extremes Gefälle auf wie das zwischen Israelis und Palästinensern. Auch ist im "Konfliktgebiet" kein neuer Staat in Sicht, gibt es außerdem mit Großbritannien eben nicht nur eine Schutz-, sondern auch eine Garantiemacht des Friedensprozesses, die alte und neue Brandherde des Konflikts allein schon deshalb löschen muss, weil sie viel unmittelbarer betroffen (Terroranschläge, Militärpräsenz) ist als es etwa die USA im Nahen Osten sind.

Nicht zuletzt wegen dieser Verstrickung Londons mussten und müssen seit Mitte der neunziger Jahre verstärkt externe Vermittler bemüht werden: Man denke an US-Senator George Mitchell, den Paten des Karfreitagsabkommens, den finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari oder John de Chastelain (Kanada), den jetzigen Chef der Entwaffnungskommission ...

Dennoch bleibt die Verständigung ohne Alternative. Denn was brächte die Suspendierung einer Regionalexekutive aus Unionisten und Republikanern, die in den vergangenen Monaten durchaus zu regieren verstand? Wem - außer den Extremisten beider Seiten - nützt eine erneute Zwangsverwaltung durch die britische Zentralregierung? Immerhin konnte das Konkordanzkabinett unter dem Protestanten Trimble ein Haushaltsbudget wie auch ein eigenes Regierungsprogramm vorgelegen. Der Konsens darüber war Parteien zu danken, die sich noch vor drei Jahren als Kombattanten eines schwelenden Bürgerkrieges gegenüberstanden.

Weshalb trotzdem die Abrüstung der IRA zur Kardinalfrage für die Regierung hochgespielt wird, liegt auf der Hand - Kabinettschef Trimble hat sich kurz vor jenem kritischen Augenblick aus der Verantwortung entlassen, da wie jedes Jahr mit den Oraniermärschen zur Mobilmachung gegen jede Aussöhnung gerufen wurde. Der Stimmenzuwachs für die radikal-unionistische Democratic Unionist Party (DUP) des Pfarrers Paisley bei den britischen Unterhauswahlen am 7. Juni war zudem ein Indiz dafür, wie das Hinterland der gemäßigten Unionisten um Trimble schrumpft. Gleich zwei prominente Parlamentarier seiner Unionist Ulster Party (UUP) wollten am 7. Juni nicht zur Wiederwahl antreten: Parteivize John Taylor und Sicherheitssprecher Ken Maginnis - ein deutlicheres Misstrauensvotum gegen Trimble aus den eigenen Reihen konnte es kaum geben.

...
Aus: Freitag 30, 20. Juli 2001

Zurück zur Nordirland-Seite

Zurück zur Seite "Regionen"

Zurück zur Homepage