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Neue Hoffnung in Belfast

Verhandlungsinitiative für nordirische Regionalregierung

Von Mattes Standke, London*

Die Entwaffnung der Irisch Republikanischen Armee (IRA) hat dem Friedensprozess in Nordirland wieder Hoffnung gegeben. Neue Gespräche sollen die verfeindeten Parteien an den Verhandlungstisch bringen. Doch die IRA sorgt weiter für Negativ-Schlagzeilen.

Die Regierungschefs Großbritanniens und Irlands wollen in den kommenden Tagen einen neuen Verhandlungsmarathon einläuten, um Nordirlands führende Parteien zu einer gemeinsamen Verwaltung der britischen Unruheprovinz zu bewegen. Sollten die Gespräche erfolgreich verlaufen, könnte bereits Anfang kommenden Jahres eine Regionalregierung gebildet werden, gab der britische Premierminister Tony Blair jetzt in London bekannt. »Wichtig ist es, genügend Vertrauen in beiden Gemeinden zu schaffen«, sagte Blair im Beisein seines irischen Kollegen Bertie Ahern. Die Machtteilung sei die einzige stabile Grundlage für eine regionale Regierung.

Ein für diesen Monat erwarteter Report der Unabhängigen Kommission zur Überwachung des nordirischen Friedensprozesses könnte das Gesprächsklima entscheidend verbessern. Der vierteljährlich erscheinende Bericht gilt als wichtiger Indikator für die Stabilität des Prozesses. Wie britische und irische Medien berichten, soll die Kommission keine weiteren Aktivitäten der IRA seit ihrer vollständigen Waffenabgabe im September dieses Jahres festgestellt haben. Allerdings wurden in dieser Woche Vorwürfe laut, die IRA habe auch noch nach Beginn des Entwaffnungsprozesses aufgerüstet. Wie die nordirische Polizei bekannt gab, seien bereits im Vorjahr rund 10 000 Schuss Gewehrmunition sichergestellt worden, die über einen deutschen Händler nach Nordirland gelangt seien.

In der für die Regionalregierung angestrebten Koalition aus den vier führenden Parteien Nordirlands wären auch die radikal pro-britische, protestantische Democratic Unionist Party (DUP) und die radikal pro-irische, katholische Sinn Féin vertreten. Auf Grund der Nähe Sinn Féins zum Führungskreis der IRA lehnen die Vertreter der DUP trotz des Karfreitagsfriedensabkommens von 1998 eine Zusammenarbeit auf Regierungsebene aber nach wie vor ab. Selbst die Bekanntgabe im Vormonat, die IRA habe ihr umfangreiches Waffenarsenal unter internationale Aufsicht gestellt und damit unbrauchbar gemacht, konnte die DUP bisher nicht überzeugen. Der linksliberale Londoner »Guardian« verwies nach den jüngsten Unruhen in der Provinz aber auch auf den »Zusammenhang zwischen Armut, Gewalt und den pro-protestantischen Paramiltärs«. Diese »drei Geiseln« seien ebenfalls eine Bedrohung für den Friedensprozess, und es »wäre ein Skandal, wenn die Protestanten gerade jetzt aufrüsteten«.

Derweil sorgt eine Reihe von Razzien britischer und irischer Fahnder gegen einen mutmaßlichen Geldwäschering der IRA in Großbritannien für Aufsehen. Im Rahmen der Ermittlungen wurden in den vergangenen Tagen allein im nordenglischen Manchester über 200 Büros und Wohnungen durchsucht. Unter Sicherheitsexperten gilt die IRA, der noch immer Hunderte Aktivisten zugerechnet werden, seit langem als führende kriminelle Organisation Irlands. Über Jahre hinweg soll das IRA-Netzwerk ein Vermögen von bis zu 45 Millionen Euro aus Schmuggel, Banküberfällen und Drogenhandel angehäuft haben.

Die gemäßigt pro-irische Social Democratic and Labour Party (SDLP) warf Sinn Féin vor, die »Mafia-Strukturen« der IRA zu decken. SDLP-Chef Mark Durkan sagte diese Woche, man müsse sich entscheiden, ob man »auf der Seite des Gesetzes oder der des Verbrechens« stehe. Durkan rief die Partei auch dazu auf, den Boykott gegen die nordirische Polizei zu beenden. Sinn Féin fordert von der Londoner Regierung weitere Reformen des noch immer von protestantischen Kräften dominierten nordirischen Polizeiapparates. Vorher sei man zu offizieller Kooperation nicht bereit, betonte Sinn-Féin-Generalsekretär Mitchel McLaughlin.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2005


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