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"Mit allen Mitteln"

Oranier-Orden feiern in Belfast historischen Aufruf zur Gewalt

Von Uschi Grandel *

Am vergangenen Samstag jährte sich zum 100. Male die Unterzeichnung des »Ulster Covenant«. Mit diesem Manifest sagten im Jahre 1912 ultrakonservative Großgrundbesitzer und Fabrikanten der irischen Provinz Ulster im Nordosten Irlands den parlamentarischen Bemühungen irischer liberaler Kräfte nach »Home rule«, also einem irischen Autonomieparlament, den Kampf an. »Mit allen als nötig erachteten Mitteln« stünden die Unterzeichner für »die Einheit des (britischen) Empires« zusammen, um »die Verschwörung zur Errichtung eines Home-Rule-Parlaments in Irland zu besiegen.« Die Unionisten setzten dabei auf die militant anti-katholischen Oranier-Orden und gründeten noch im selben Jahr eine protestantische bewaffnete Miliz, die Ulster Volunteer Force (UVF), die nach kurzer Zeit bereits 100000 Mitglieder umfaßte.

Zur Feier des 100. Jahrestags dieser rechten Putschandrohung hatten verschiedene Logen der Oranier-Orden gemeinsam zu einem Marsch in Belfast und nach Stormont, dem Sitz des nordirischen Regionalparlaments, aufgerufen. Historisch kann man die Unterzeichnung des Ulster Covenant als die Geburtsstunde Nordirlands betrachten. Denn mit dem Erstarken der irischen Unabhängigkeitsbewegung optierte die konservative Machtelite für eine Spaltung Irlands, um ihre Herrschaft wenigstens im militärisch und wirtschaftlich bedeutenden Nordosten Irlands zu zementieren. Die Spaltung Irlands wurde von der britischen Regierung durch den Government of Ireland Act im Jahre 1920 diktiert.

Die Großdemonstration von annähernd 30000 Mitgliedern der Oranier-Orden bildete den Höhepunkt ihrer diesjährigen »Marschsaison«. So nennt man in Nordirland die Sommermonate, die durch Tausende von Oranier-Märschen gekennzeichnet sind. Dieses Jahr war es am 12. Juli 2012 zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, nachdem eine UVF-Band als Teilnehmer eines Oranier-Marsches vor einer katholischen Kirche antiirische und antikatholische Schmählieder gespielt hatte. Die UVF ermordete während des Nordirland-Konflikts Hunderte Anwohner irischer Viertel.

Noch vor wenigen Jahren wären Überfälle probritischer Hardliner auf isolierte irische Viertel und eine Spirale unkontrollierter Gewalt das Ergebnis einer gewalttätigen Marschsaison gewesen. Am Wochenende zeigte der friedliche Verlauf der Gedenkdemonstration die Stabilität des Friedensprozesses in Nordirland. Dieser ist auch einem breiten Netzwerk an Kontakten zwischen Sinn Féin, der dominanten Kraft des irischen Lagers, und den liberaleren Kräften des politischen Unionismus zu verdanken, das sich in den letzen Jahren bilden konnte. Das erste Mal in der Geschichte der Oranier-Orden übten Mitglieder im Vorfeld der Großdemonstration vom vergangenen Samstag öffentlich Kritik an der Duldung anti-katholischer Provokationen durch den Orden. Zum anderen gelang es den beiden am stärksten betroffenen irischen Viertel, Carrick Hill und Short Strand, friedlich zu protestieren und sich ihre Agenda nicht durch Provokationen der Oranier diktieren zu lassen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 02. Oktober 2012


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