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Iren verteidigen sich

Oranier-Orden und ultrarechte Milizen terrorisieren Bevölkerung in Belfast und Derry

Von Florian Osuch *

In Nordirland steht die sommerliche Marschsaison des protestantischen Oranier-Ordens bevor. Bis zu eintausend Aufzüge führt dieser ultrarechte, christlich-fundamentalistische Orden jährlich durch, um an die Schlacht von Boyne zu erinnern, bei der im Jahr 1690 ein protestantischer König seinen katholischen Widersacher besiegte. Rund ein Dutzend dieser Märsche gilt als umstritten, da sie durch mehrheitlich von Iren bewohnte Stadtviertel führen. Gewaltsame Auseinandersetzungen werden vor allem für die beiden zentralen Märsche am 12. Juli in Belfast und am 13. August in Derry erwartet.

Einen Auftakt zu den heißen Wochen gab es bereits am 18. Juni, als Ordensmänner durch das mehrheitlich von Iren bewohnte Westbelfast marschierten. Anwohner protestierten gegen die in ihren Augen religiös-rassistische Veranstaltung, obwohl diese von der staatlichen Paradenkommis­sion nur unter strengen Auflagen genehmigt worden war. So durften nur 50 der 900 mit Bannern und Kapellen ausgerüsteten Marschteilnehmer das irische Viertel passieren. Trotzdem kam es zu massiven Ausschreitungen. Mehrere hundert Personen attackierten von Iren genutzte Gebäude in Ostbelfast und versuchten, Wohnhäuser in Brand zu setzten. Für die Übergriffe wird die »Ulster Volunteer Force« (UVF) verantwortlich gemacht, eine probritische paramilitärische Gruppe. »Die dortigen Bewohner haben eine lange und stolze Geschichte, Widerstand gegen die britische Aggressionen zu leisten«, würdigte Rab Jackson, Vizepräsident der sozialistischen Partei Éirígí, die Proteste der Einwohner. In Short Strand, dem Ardoyne-Viertel in Nordbelfast oder an anderen Brennpunkten in Nordirland wollen die Einwohner nun wohl wieder Nachtwachen einrichten, um bevorstehende Attacken abzuwehren.

Probritische Paramilitärs könnten die politische Aufmerksamkeit rund um die großen Oranier-Märsche für eine erneute Machtdemonstra­tion nutzen. Offenbar soll damit der fortgeschrittene Friedensprozeß in Nordirland destabilisiert werden. Das Ziel der »Ulster-Freiwilligenarmee« ist der Verbleib Nordirlands beim Vereinten Königreich. In der Vergangenheit terrorisierten die »loyalistischen« Paramilitärs die Bevölkerung und verübten wahllos Anschläge. Sie dienten britischen Militärs und der Polizei jedoch auch als Killerkommandos. In zahlreichen Fällen spielten Sicherheitskräfte den Milizen Dossiers über mißliebige Personen zu, die dann umgebracht wurden. Zu den Opfern dieser staatlich gelenkten und politisch gedeckten Morde gehörten Aktive der republikanischen Bewegung und der Linkspartei Sinn Féin, Mitglieder der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) sowie Bürgerrechtler, wie zum Beispiel der Menschenrechtsanwalt Pat Finucane.

* Aus: junge Welt, 29. Juni 2011


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