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Ein Viertel wehrt sich

Nordirland: Sitzblockade gegen Oranier-Marsch

Von Florian Osuch, Belfast *

Anwohner des mehrheitlich von irischen Republikanern bewohnten Stadtteils Ardoyne in Belfast blockierten am Montag (12. Juli) den Marsch des britisch-protestantischen Oranier-Ordens. Erst nach einem Polizeieinsatz konnte der erzreaktionäre Aufzug schließlich doch noch das Viertel passieren. Im Anschluß kam es dann in der nordirischen Metropole während der gesamten Nacht zu Straßenschlachten mit vielen Verletzten.

Gegen den Aufmarsch am Montag (12. Juli) hatte die Anwohnerinitiative Greater Ardoyne Residents Collective (GARC) zur Sitzblockade aufgerufen. Polizeikräfte versuchten zunächst vergeblich, die Protestierenden wegzutragen, die sich fest eingehakt hatten. Viele trugen T-Shirts mit der Aufschrift »Gewaltloser Protest«. Schließlich gingen die Uniformierten mit Gummiknüppeln, Wasserwerfern und Plastikgeschossen gegen die Menschen vor. Nach der Räumung drängte die Polizei weitere Demonstranten ab, darunter auch mehrere hundert Jugendliche, die sich durch Steinwürfe zur Wehr setzten. Wenig später passierte eine Abordnung des Oranier-Ordens unter Polizeischutz die Straße. Bis zu 60 gepanzerte Einsatzwagen schirmten die Parade ab.

Die irische Linkspartei Sinn Féin unterstützte weder Sitzblockade noch GARC. Ihr Abgeordneter für Nord-Belfast, Gerry Kelly, war jedoch zugegen und nannte den Einsatz der Polizeigewalt »unakzeptabel«. Zugleich bezeichnete er die Auseinandersetzungen als »falsch und kontraproduktiv«. Der Protest hatte sich unabhängig von Sinn Féin, die sonst nahezu alle irisch-republikanischen Projekte dominiert, organisiert. GARC erhielt Unterstützung von der irisch-sozialistischen Organisation Éiríg und anderen kleineren Gruppierungen. Éiríg-Generalsekretär Breandán Mac Cionnaith stellte sich auf die Seite der Anwohner, die ein Recht hätten, frei von Haß zu leben.

Die Ereignisse in Ardoyne machten deutlich, daß es auch mehr als zwölf Jahre nach dem Friedensabkommen von 1998 offensichtlich keinen akzeptablen Umgang mit den Oranier-Märschen gibt. Es ist vielen irischen Republikanern unverständlich, warum die staatliche »Parade-Commission« solche Aufzüge wie in Ardoyne erlaubt und von Polizisten rücksichtslos durchsetzen läßt. Außerdem steht Sinn Féin innerhalb des republikanischen Lagers in der Kritik. Die Partei hatte am Montag keine Alternativen anzubieten. Vielmehr wird sie als Teil der Regierung auch für Entscheidungen der »Parade Comission« oder sogar für Polizeigewalt verantwortlich gemacht.

Bis zu 100000 Personen nahmen bisher an Umzügen aus Anlaß des 12.Juli teil. Mit diesen wird an den Sieg der Truppen des protestantischen Königs Wilhelm von Oranien über die seines katholischen Widersachers Jakob II. im Jahr 1690 erinnert. Die Märsche werden von der irisch-republikanischen Bevölkerung scharf kritisiert, weil die britische Seite damit ihren Machtanspruch und ihre vorgebliche Überlegenheit zelebriert. Die Aufzüge vom Montag waren der vorläufige Höhepunkt der jährlichen Marschsaison. Einzig die Parade der Apprentice Boys Mitte August in Derry könnte wie in den vergangenen Jahren erneut zu massiven Protesten führen.

* Aus: junge Welt, 14. Juli 2010


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