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Opfergedenken im Hinterzimmer

Nordirland: Zwist um Ehrung von IRA-Kämpfern

Von Florian Osuch, Belfast *

Im Umgang mit dem fast 30 Jahre währenden britisch-irischen Konflikt ist Nordirland noch immer tief gespalten. Am vergangenen Wochenende erinnerte die irische Linkspartei Sinn Féin an drei getötete Mitglieder der Untergrundorganisation IRA. Dabei stieß sie auf großen Widerstand pro-britischer Kräfte, die eine »Terroristen-Ehrung« ablehnen.

Auf einem Marsch zum Milltown-Friedhof in Belfast erinnerte Gerry Adams, Präsident von Sinn Féin, an Mairéad Farrell, Dan McCann und Seán Savage. Sie sind als Gibraltar-Three bekannt und waren am 6. März 1988 in der britischen Kolonie Gibraltar von einem Kommando des Special Air Service (SAS) getötet worden. Augenzeugen sprachen damals von Hinrichtungen auf offener Straße. Alle drei waren unbewaffnet und wurden mit Kopfschüssen getötet.

Adams nannte Farrell eine Freundin und machte die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher für den Tod der Gibraltar-Drei verantwortlich. »Ich bin überzeugt, dass höchste Kreise im britischen Kabinett die Exekution autorisiert haben.« Er wies zudem auf die Unterstützung britischer Geheimagenten durch spanische und irische Behörden hin.

Zum internationalen Frauentag sollte der Rolle Mairéad Farrells in einer Gedenkfeier im Parlament von Stormont gedacht werden. Farrell war IRA-Kommandeurin und vertrat innerhalb der irisch-republikanischen Bewegung einen feministischen und sozialistischen Flügel. Die geschäftsführende Parlamentskommission suspendierte jedoch den von Sinn Féin geplanten Akt in der Long Galery von Stormont. Zuvor hatten pro-britische Parteien interveniert und eine eigene Gedenkfeier für die Soldaten der SAS angekündigt.

Letztlich musste sich Sinn Féin mit der Veranstaltung in ihre Sitzungsräume zurückziehen. Vor dem Gebäude protestierte rund ein Dutzend britisch-unionistischer Frauen gegen den Akt, zu dem sich mehr als einhundert Personen eingefunden hatten. Darunter vor allem ehemalige Aktivistinnen der IRA aber auch Angehörige und Freunde Farrells.

Jennifer McCann, Verantwortliche Sinn-Féin-Abgeordnete für die Ehrung, nannte die Verbannung »unfair und undemokratisch«. McCann war wie Farrell Angehörige der IRA, beide verbrachten gemeinsam mehrere Jahre in britischer Gefangenschaft. Niall Farrell, Bruder der Getöteten, erinnerte daran, dass die Untergrundorganisation IRA ihre Waffen abgegeben hat, während der SAS weiter aktiv ist. »Gibraltar war 1988. Heute heißen die Schauplätze der SAS Bagdad oder Basra und sie morden weiter«.

Der Tod der Gibraltar-Three sowie die folgenden Ereignisse waren für die irische Bevölkerungsminderheit im Norden Irlands äußerst traumatisch. Nach den Schüssen in der britischen Kolonie hatte die Regierung eine Nachrichtensperre verhängt und lanciert, dass die drei bei einem Schusswechsel gestorben seien. Als der wahre Verlauf öffentlich wurde, tobten tagelange Straßenkämpfe in Belfast, ein weiterer IRA-Freiwilliger wurde getötet.

Tausende säumten die Straßen, als die Särge von Savage, McCann und Farrell über Dublin nach Belfast gebracht wurden. Zur Beisetzung kamen 20 000 Menschen zum Milltown-Friehof. Während einer Gedenkminute eröffnete ein pro-britischer Attentäter das Feuer auf die Menge. Durch Schüsse und mehrere Granaten wurden drei Menschen getötet und 80 Personen verletzt.

Es war das erste Begräbnis von IRA-Mitgliedern, welches nicht von hunderten Sicherheitskräften belagert wurde. Polizei und Militär wollten stets verhindern, dass die IRA von der Trauermasse gedeckt auftreten konnte. Als wenige Tage später eines der Opfer vom Milltown-Friedhof beigesetzt wurde, kam es erneut zu einem Zwischenfall. Ein PKW raste mit hoher Geschwindigkeit in den Trauerzug und viele vermuteten einen zweiten Anschlag. Das Auto wurde umringt und die PKW-Insassen zogen Pistolen. IRA-Mitglieder entwaffneten die beiden Männer und enttarnten sie als britische Undercover-Agenten.

* Aus: Neues Deutschland, 12. März 2008


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