Nordirland: Misshandlungen in der Uniform der Königin
Nicht nur im Irak wird gefoltert. Ein Kommentar der Kampagne "Save the Good Friday Agreement"
Die mutmaßliche Beteiligung britischer Soldaten an Folterungen und Misshandlungen von irakischen Gefangenen lenkt den Blick auf einen weiteren Krisen- bzw. Kriegsherd: Nordirland. Im Folgenden dokumentieren wir einen Kommentar, den uns Uschi Grandel von der Kampagne "Save the Good Friday Agreement" ("Rettet das Karfreitagsabkommen") zusandte. Der Text befindet sich auch auf der Homepage der Kampagne: www.info-nordirland.de
Nicht nur im Irak und keine Einzelfälle
11. Mai 2004
Die Weltöffentlichkeit blickt mit Abscheu auf die Berichte
über Folterungen von Irakern durch amerikanische und
britische Besatzer und es ist ein kleiner Erfolg, dass es der
amerikanischen Regierung bisher nicht geglückt ist, ihre
Verbrechen unter den Teppich zu kehren.
Und Großbritannien? Wie wenig ernst es der britischen
Regierung mit einer lückenlosen Aufklärung ist, zeigt der
Skandal um Folter und Mord an irakischen Gefangenen in
Basra. Bereits im Januar hatte der irische Journalist Robert
Fisk darüber berichtet:
Leutnant Daoud Mousa von der irakischen Polizei sah
seinen Sohn am 14. September das letzte Mal lebend, als
Soldaten das Hotel in Basra durchsuchten, in dem der
junge Mann an der Rezeption arbeitete.
"Er lag mit den anderen sieben Angestellten auf dem
Marmorfussboden und hatte die Hände hinter dem Kopf",
erzählt Leutnant Mousa. "Du brauchst keine Angst zu
haben, sagte ich ihm, ich habe mit dem britischen Offizier
geredet und der sagt, Du bist in ein paar Stunden wieder
frei. ... Drei Tage später brachten sie mir die Leiche meines
Sohnes". Die Briten kamen und sagten mir, er sei im
Gewahrsam gestorben. Seine Nase war gebrochen, er
blutete über dem Mund und ich konnte blaue Flecke in der
Rippengegend erkennen. Die Haut an den Handgelenken
war abgeschürft."
Baha Mousa hinterlässt zwei kleine Jungen, den
fünfjährigen Hassan und den dreijährigen Hussein. Beide
sind nun Waisen, weil Bahas Ehefrau ein halbes Jahr vor
seinem Tod an Krebs gestorben war.
Amnesty International hat unabhängige Untersuchungen
des Todes von Baha und der Misshandlungen der anderen
Irakischen Gefangenen gefordert. Der
Verteidigungsminister versucht jedoch, die Untersuchungen
ausschliesslich innerhalb der Armee durchzuführen. Zwei
Soldaten, die ursprünglich wegen des Mordes an Baha
verhaftet worden waren, sind wieder auf freiem Fuss. Bahas
Familie ist empört. "Wir werden die britische Armee in
London verklagen", sagt sein Bruder Alaa. "Sie gaben uns
$ 3,000 Kompensation und boten uns weitere $ 5,000 -
weigern sich aber, die Verantwortung für den Mord zu
übernehmen."
Wir lehnen das Geld ab. Wir wollen Gerechtigkeit. Wir
wollen, dass die Soldaten bestraft werden. Wieviel Geld
würde eine britische Familie erhalten, wenn ihr unschuldiger
Sohn von Eueren Soldaten verhaftet und zu Tode geprügelt
würde?"
Am 3. Mai 2004 schreibt die DPA zu neuen
Anschuldigungen gegen die britischen Streitkräfte:
"Die Briten verwenden große Mühe darauf, sich im Irak von
der "Cowboy-Strategie" der Amerikaner abzusetzen. Wer
sie in Basra besucht, der wird schnell auf ihre lange
Erfahrung in Nordirland hingewiesen, auf den höheren
Ausbildungsstandard ihrer Soldaten. Doch jetzt sieht es mit
einem Mal so aus, als hätten sich auch Soldaten "in der
Uniform der Königin" schwerer Misshandlungen schuldig
gemacht."
Der Zynismus, der sich hinter dem Verweis auf die
nordirische Erfahrung versteckt, ist den meisten Lesern der
DPA-Meldung und vermutlich auch dem Schreiber nicht
bewusst. Folter und Mord an irakischen Gefangenen
konnten nicht zuletzt auch deshalb geschehen, weil die
britische Regierung in Nordirland jahrzehntelang die
Erfahrung gemacht hat, dass das demokratische Europa
der britischen Armee, ihren Geheimdiensten und
Militärpolizisten den schmutzigen Krieg mit Folter und Mord
weitgehend als innere Angelegenheit überlässt.
Und das, obwohl Menschenrechtsorganisationen wie z.B.
Amnesty International immer wieder auf
Menschenrechtsverletzungen und schwerwiegende
Verletzungen der Demokratie hingewiesen haben. Die
nordirische Erfahrung zeigt auch, dass Erniedrigung und
Entrechtung zwei Seiten einer Medallie sind. Dass die
Gewalt der Besatzer mit einem Konfliktlösungsprozess
nach langem blutigen Krieg nicht automatisch verschwindet.
Im Gegenteil, demokratische Erneuerung muss gegen
Widerstände hart erkämpft werden und bedarf unserer
Unterstützung.
Im folgenden dokumentieren wir anhand einiger Beispiele,
was unter "nordirischer Erfahrung" zu verstehen ist:
Folter:
4.500 Seiten mit Berichten von Folteropfern in Nordirland hat
die Europäische Menschenrechtskommission (ECHR)
Anfang der 70er Jahre zusammengestellt. Täter waren
britischer Geheimdienst und britisches Militär. Die ECHR
fand Großbritannien der Folter und der inhumanen,
erniedrigenden Behandlung von Gefangenen schuldig.
Fünfundzwanzig verschiedene Foltermethoden wurden in
dieser Zeit entwickelt und getestet: u.a. Sack über das
Gesicht des Gefangenen, Überdehnen der Glieder und
Schläge gegen die Gelenke, Elektroschocks, Einführen von
Geräten in den Intimbereich, Urinieren auf einen
Gefangenen, psychologische Folter durch Schüsse neben
dem Gesicht oder Helikopterflüge mit der Androhung, den
Gefangenen aus dem Helikopter zu werfen. Etliche dieser
Foltermethoden finden sich auch auf den Bildern, die uns
aus dem Irak erreichen, wieder.
Zusammenarbeit britischer staatlicher Stellen mit
pro-britischen Todesschwadronen (Collusion):
Viel weiß man mittlerweile über diese Zusammenarbeit, der
unbequeme Rechtsanwälte, Sinn Féin Aktivisten, IRA
Mitglieder und unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fielen. Zu
viel, um Untersuchungen ganz abzuwiegeln. Stattdessen
verlegen sich britische Regierung und die entsprechenden
Stellen in den verschiedensten Geheimdiensten, der Polizei
und dem Militär auf das Vertuschen.
Bericht des unabhängigen kanadischen Richters Cory,
Dezember 2003:
Peter Cory untersuchte prominente Morde des
Nordirlandkonflikts auf die Frage, ob es eine Verstrickung
staatlicher Stellen in diese Morde gab. Der Bericht von Cory
wurde erst nach monatelangem Zögern im April 2004 von
der britischen Regierung veröffentlicht. Trotz erdrückender
Beweise für die Beteiligung staatlicher Stellen am Mord des
Rechtsanwalt Pat Finucane im Jahr 1989 weigert sich die
britische Regierung, eine öffentliche Untersuchung
einzuleiten.
Der Inhalt der jahrzehntelangen, tonnenschweren
Untersuchungen des Polizeiinspektors Stevenson ist
bis auf wenige Seiten Geheimsache.
"Was der Bericht freilich enthüllt, ist ein Bild unheilvoller
Verquickung staatlicher Organe und protestantischer
Terror-Organisationen während der nordirischen Troubles.
Stevens zufolge ließen die Geheimdienste der Polizei und
Armee in der Provinz Mitgliedern loyalistischer Gruppen
regelmäßig Informationen über Katholiken zukommen, die
als Republikaner oder als republikanische Sympathisanten
und damit als legitime Ziele loyalistischer Mordaktionen
betrachtet wurden. Die betreffenden Beamten halfen bei der
Organisation von Überfällen, lieferten den Tätern Waffen und
verschafften ihnen Alibis. Gelegentlich waren sie auch
selbst an den Morden beteiligt." (Frankfurter Rundschau, 19.4.2003)
Gewalttaten gegen irische Viertel:
Bewohner kleiner irischer Viertel sind Pogromen
pro-britischer Terrorgruppen schutzlos ausgeliefert und
erhalten keinen Polizeischutz. Mehrere hundert
Rohrbomben wurden von pro-britischen Terrorgruppen auf
irische Viertel geworfen, Menschen werden immer noch aus
dem einen Grund ermordet: weil sie Katholiken sind. Wie
z.B. der junge Postbote Daniel McColgan im Januar 2002.
Niemand wurde für die Morde und Anschläge je zur
Rechenschaft gezogen. Die Reform der Polizei und die
Auflösung ihrer gefürchteten Folter- und Terrortruppe
"Special Branch" ist eines der ungelösten Probleme des
Konfliktlösungsprozesses.
"Stormont-Gate", Oktober 2002, andauernd bis heute:
Ein Grossaufgebot an gepanzerten Polizeifahrzeugen fuhr
vor dem Regionalparlament Stormont auf, um eine Razzia in
den Büroräumen der Sinn Féin Abgeordneten im
Parlamentsgebäude durchzuführen. Der Büroleiter von Sinn
Fein, sein Schwiegersohn und einige weitere Personen
wurden verhaftet. Die Aktion diente angeblich der
Zerschlagung eines Spionagerings der IRA und diente als
Begründung für die Suspendierung der gewählten
Regionalregierung Nordirlands durch die britische
Regierung. Im Dezember 2003 wurden heimlich still und
leise die Hauptanklagepunkte gegen die Angeklagten
fallengelassen - ohne Begründung und ohne Prozess.
Weder der Polizeichef Nordirlands noch der britische
Nordirlandminister mussten wegen des massiven Eingriffs in
die Rechte von Parlamentariern und in den demokratischen
Prozess Rechenschaft ablegen oder gar zurücktreten.
Einschüchterung und Bedrohung von Abgeordneten:
Seit dem Wahlerfolg der irisch-republikanischen Partei Sinn
Féin im Dezember 2003, der die Partei zur stärksten Kraft
im irischen Lager machte, gibt es koordinierte Anschläge
auf Wohnungen von Abgeordneten von Sinn Féin. Die
präzise Planung der Anschläge ist ohne Informationen der
Polizei schwer vorstellbar. Die Adressen stehen nicht
einfach im Telefonbuch. Das letzte Opfer war die Stadträtin
Veronica Willis, deren Fenster durch Wurfgeschosse
zertrümmert wurden. Auf die Wohnung ihres
Stadtratskollegen Paul Butler waren direkt nach der Wahl
im Dezember Schüsse abgegeben worden.
Diese Liste ist nicht ein Rückblick auf die dunklen Tage des
offenen Konflikts. Dieser Filz aus Verstößen gegen die
Demokratie, Gewalt und Desinformation bedroht ganz
konkret und brandaktuell den Friedensprozess im Norden
Irlands. Er bedroht damit den Versuch der Konfliktlösung
durch demokratischen Wandel, der mit dem
Waffenstillstand der IRA 1994 eingeleitet wurde und im
Karfreitagsabkommen 1998 von den Parteien
festgeschrieben wurde - auch von der britischen Regierung.
Ein erfolgreicher Friedensprozess in Nordirland, der die
Würde der Menschen und ihre Grundrechte sichert, wäre
ein wichtiges Zeichen, auch für den Irak. Es wäre ein
Zeichen, dass die britische Regierung ihre Verantwortung
ernst nimmt.
Ein Zeichen könnte die britische Regierung im Fall Peter
McBride sofort setzen: der Belfaster Jugendliche Peter
McBride wurde von den britischen Soldaten Wright und
Fisher am 4. September 1992 ermordet. Das steht
rechtsgültig fest. Seine Mörder sind immer noch Soldaten
der britischen Armee und waren im Irak im Einsatz.
Die Mutter von Peter Mc Bride kämpft seit Jahren um die
Entlassung der Mörder ihres Sohnes aus der Armee. Ihr
letzter Gerichtstermin gegen die Weigerung des britischen
Verteidigungsministers, ein entsprechendes Urteil eines
Zivilgerichts umzusetzen, fand am 20. April 2004 statt. Sie
schreibt in einer Stellungnahme:
"Erstaunt es uns, dass britische Soldaten in Basra
glauben, sie hätten die Konsequenzen ihrer Mordtaten nicht
zu fürchten, wenn sie als Beispiel zwei verurteilte Mörder in
ihren Reihen haben? In jedem der vielen Gerichtsverfahren
hat unser Anwalt argumentiert, dass die
Weiterbeschäftigung von Wright und Fisher in der Armee
andere Soldaten zu dem Glauben verleitet, die britische
Armee ignoriere Mord. Ich fühle mit der Familie des jungen
Irakers, der genauso wie Peter zwei kleine Kinder
zurücklässt. Ich werde Daoud Mousa, dem Vater des
jungen Mannes, schreiben, damit er weiss, was ihn erwartet
und um ihm unsere Unterstützung anzubieten."
Im Licht des Mordes an dem jungen Iraker Baha und
anderen ist es an der Zeit, der britischen Regierung
klarzumachen, dass sie sich nicht aus ihrer Verantwortung
stehlen kann - in Nordirland nicht und nicht im Irak.
Quelle: Website der Kampagne "Save the Good Friday Agreement"; www.info-nordirland.de/start_de.htm
Zurück zur Nordirland-Seite
Zurück zur Homepage