David Ervine (1953-2007): Der soziale Loyalist
Der ehemalige nordirische Bombenleger glaubte fest daran, dass sich die protestantischen ArbeiterInnen von Belfast dem Sozialismus zuwenden würden - und scheiterte
Von Pit Wuhrer *
Mit allem Möglichen hatte er gerechnet, als wir uns im Hinterzimmer eines Ostbelfaster Pubs zum ersten Mal trafen, nur nicht damit, dass er einmal im Bett sterben würde. Und doch hat der Tod ihn nun dort ereilt: Anfang letzter Woche erlag der Chef der nordirischen Progressive Unionist Party (PUP) David Ervine im Alter von 53 Jahren einem Herzinfarkt.
So ändern sich die Zeiten: Anfang 1994 hatte Ervine täglich mit einem Anschlag der IRA gerechnet, beim nächsten Interview zwei Jahre später sprach er davon, dass ihm nun auch Leute aus den eigenen Reihen ans Leben wollten. An seiner Beerdigung aber zollten ihm alle Respekt: Der britische Nordirlandminister Peter Hain, der nordirische Polizeichef Hugh Orde, der frühere Nordirlandpremier und Friedensnobelpreisträger David Trimble. Auch Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams war da und tröstete die Witwe. Wenn man von der Verlogenheit absieht, die solche Trauerfeiern begleiten: Diesen Aufmarsch an Prominenz hatte Ervine durchaus verdient - wenn auch aus anderen Gründen.
Denn David Ervine, der im Alter von neunzehn Jahren der probritischen loyalistischen Terrororganisation Ulster Volunteer Force (UVF) beitrat, sah sich stets auch als Verfechter der Interessen der protestantischen Arbeiterklasse von Belfast. Sein Vater war Metallarbeiter gewesen und er selber als Klempner tätig, bis er 1974 mit einer Bombe im Auto erwischt und verurteilt wurde. Seine Jahre im britischen Hochsicherheitsgefängnis Long Kesh nutzte er - wie auch viele IRA-Gefangene - für eine politische und berufliche Weiterbildung. Nach seiner vorzeitigen Entlassung schlug er sich als Gelegenheitsarbeiter durch und engagierte sich in der PUP, die die UVF als politische Frontorganisation gegründet hatte.
«Wir haben gewonnen»
Sein Charisma und seine Eloquenz machten ihn bald zum offiziellen Sprecher der Partei und zum inoffiziellen Sprachrohr der illegalen UVF. Eindrucksvoll waren auch seine nüchternen Analysen. «Die IRA hat den Krieg gegen uns verloren», sagte er beispielsweise im WOZ-Gespräch 1994. «Wir haben mit unseren Massnahmen der irisch-nationalistischen Bevölkerung gezeigt, dass die IRA sie nicht schützen kann - und so dazu beigetragen, dass sie kriegsmüde wurde.» Die «Massnahmen» bestanden damals aus willkürlichen Attentaten auf katholische ZivilistInnen - aus Bombenanschlägen auf Pubs oder aus Schüssen, die vom Rücksitz eines Motorrads auf Passanten in der Westbelfaster Falls Road abgegeben wurden. Anfang der neunziger Jahre töteten die loyalistischen Todesschwadronen weitaus mehr Menschen als die IRA.
«Wir haben gewonnen», urteilte Ervine daher auch nach der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens 1998: «Die Union mit Britannien ist sicherer als je zuvor.» Damit hatte er Recht. Im Unterschied zum fundamentalistisch-protestantischen Prediger und Politiker Ian Paisley (von dem er nie viel hielt) und dessen Gefolgschaft versuchte er aber nie, den Gegner zu demütigen. «Die katholischen Arbeiter haben unter dem alten Regime der protestantischen Grossgrundbesitzer und Fabrikanten genauso gelitten wie die protestantischen Habenichtse, vielleicht noch mehr.» Und so traf er sich schon bald nach der IRA-Waffenstillstandserklärung im Herbst 1994 mit linken IRA-Kämpfern. Denn er verstand sich nicht nur als loyaler Soldat Ihrer Majestät und als einer, der sein «britisches Vaterland verteidigt», sondern auch als «Sozialist» und als Streiter «für die soziale Gerechtigkeit».
Dieser Ansatz bescherte ihm jede Menge Probleme. Denn jenseits der Arbeiterquartiere von West- und Nordbelfast gaben rechtsradikale UVF-Kommandeure den Ton an. Immer wieder kam es zu Abspaltungen von der UVF, weil sein Kurs den anderen zu links war oder weil sie sich nicht an die loyalistische Waffenruhe halten wollten. Bald konnte er auch die Belfaster Brigaden nicht mehr kontrollieren. Doch Ervine versuchte weiter, Gegensätze zu vereinen: Auf der einen Seite die Terrorkommandos, die Gefallen an ihrer Macht fanden (und deren Entwaffnung bisher niemand ernsthaft verlangt hat); auf der anderen Seite sein soziales Credo, das man ihm auch abnahm. So etwas hält man nicht lange durch.
Aufstieg zum Staatsmann
Als er 1998 in das neue Nordirlandparlament gewählt wurde, sorgte Ervine dafür, dass seine PUP nicht den konfessionell definierten Blöcken zugeschlagen wurde (von religiös bestimmter Politik hielt er nie viel). Das kam an der Basis nicht gut an. Bei der Wahl 2003 konnte er als einziger Loyalist sein Mandat verteidigen. Je tiefer er in der Gunst seiner WählerInnen sank, desto höher stieg sein Ansehen in den Sphären der offiziellen Politik: Aus dem Terroristen Ervine wurde der Staatsmann Ervine, der mutig gegen Gewalt wetterte, für Frieden plädierte und sogar dem mächtigen Oranier-Orden entgegentrat.
Auch diesen Widerspruch hat er durchaus begriffen - und weiterhin seine Sprechstunden im PUP-Büro an der Shankill Road abgehalten, wo ihn Arbeitslose und alleinerziehende Mütter mit all ihren Problemen aufsuchen konnten. Entlang der protestantischen Shankill Road liegt die Erwerbslosenquote bei rund siebzig Prozent. Trotz seiner Nähe zu den Armen wäre er aber bei der anstehenden Neuwahl des Nordirlandparlaments kaum wiedergewählt worden. Das wusste er. Denn viele seiner WählerInnen teilen die Einschätzung nicht mehr, an der er bis zuletzt festhielt: dass ein Friede nach dem Sieg über die IRA möglich ist.
* Aus: Die Wochenzeitung WOZ, 18. Januar 2007
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