Nordirland: Terror ohne Strategie
Splittergruppen weiter im bewaffneten Kampf
Von Florian Osuch *
In der Nacht zum Dienstag (13. Mai) ist in Spamount in der nordirischen Region Tyrone ein Polizist bei einem
Bombenanschlag schwer verletzt worden. Beobachter gehen davon aus, dass irisch-republikanische
Splittergruppen verantwortlich sind.
Das Opfer des jüngsten Anschlags in Nordirland ist Angehöriger des Police Service of Northern
Ireland (PSNI) – ein neuer Polizeiverband, der 2001 die Royal Ulster Constabulary (RUC) ablöste,
da diese von der proirischen Bevölkerung in der britischen Provinz als Repressions- und
Besatzungsorgan abgelehnt wurde. Obwohl sich noch niemand zu dem Attentat bekannt hat, gehen
Beobachter davon aus, dass irische Splittergruppen die Verantwortung tragen. Sie werden in
Nordirland als Dissidenten bezeichnetet und stehen in Opposition zum Friedenskurs der Irisch
Republikanischen Armee (IRA) und der Linkspartei Sinn Féin.
Einhellig verurteilten politische Vertreter im Norden wie im Süden Irlands den Anschlag. Das ist in 40
Jahren Nordirlandkonflikt keine Selbstverständlichkeit. Sinn Féin hielt der IRA-Guerilla politisch stets
den Rücken frei, auch wenn bei Anschlägen Zivilisten getötet wurden. Jetzt besuchte Sinn-Féin-Vize
Martin McGuiness den verletzten Polizisten im Krankenhaus und forderte zur Zusammenarbeit mit
der PSNI auf. McGuiness ist ehemaliger Kommandeur der IRA und inzwischen Minister der
Regionalregierung in Belfast. Pat Doherty, West-Tyrone-Abgeordneter für Sinn Féin im britischen
Unterhaus, äußerte gegenüber BBC, dass sich die Politik in Irland »absolut und unumkehrbar
geändert« habe.
McGuiness betonte, dass die Splittergruppen »keine Strategie und kein politisches Angebot« hätten.
Zudem würden sie »niemanden repräsentieren und über kein Mandat« verfügen. Damit brachte er
ihre politische Isolation auf den Punkt. Inzwischen gibt es eine Reihe von Kleinstgruppen, die sich
»Real IRA«, »Continuity IRA« oder »Óglaigh na hÉireann« (Freiwillige Irlands) nennen.
Die »Real IRA« war verantwortlich für das Bombenattentat im nordirischen Omagh vom August
1998, bei dem 29 Zivilisten getötet wurden. Es war der Anschlag mit den meisten Todesopfern im
gesamten Nordirlandkonflikt.
Während die IRA 1994 einen Waffenstillstand ausgerufen und ihren Krieg vor drei Jahren für
beendet erklärte, halten die genannten Gruppen am bewaffneten Kampf fest. Untereinander
zerstritten, verfügen sie über keine Strategie, wie McGuiness meinte.
Die IRA verfolgte stets das Ziel, den nordirischen Staat unregierbar zu machen und den Preis für die
britische Besatzung in die Höhe zu treiben. Als beides Ende der 80er Jahre erreicht schien,
begannen geheime Verhandlungen zwischen der Sinn-Féin-Spitze und der britischen Regierung, die
1998 in ein Friedensabkommen mündeten. Die politischen Kräfte hinter den heutigen
Splittergruppen verfügen über keinen Repräsentanten in Lokal- oder Regionalparlamenten. Selbst in
der republikanischen Hochburg West-Belfast konnte eine Vertreterin von »Republican Sinn Féin«,
die der »Continuity IRA« nahe steht, zuletzt nur etwa 1,4 Prozent der Stimmen gewinnen. Sinn Féin
bringt dort bis zu 80 Prozent der Wähler hinter sich.
* Neues Deutschland, 15. Mai 2008
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