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Der Nordirland-Konflikt

Die Erklärung der IRA zur Entwaffnung vom 7. Mai 2000

Bis zum Mai 2000 sollte nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 der Demilitarisierungsprozess der IRA (Irisch-Republikanische Armee) beginnen. Anfang Mai wandte sich ie Führung der IRA mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, die den ins Stocken geratenen Friedensprozess wieder voran bringen könnte. Wir dokumentieren zunächt die Erklärung im Wortlaut und fügen ein paar Erläuterungen hinzu:

Erklärung der IRA (Irisch-Republikanischen Armee) vom 7. Mai 2000

"Die Führung der IRA ist einem gerechten und dauerhaften Frieden verpflichtet. Diese Verpflichtung haben wir trotz des Missbrauchs des Friedensprozesses durch diejenigen beibehalten, die auf dem Ziel bestehen, die IRA und die irischen Republikaner zu besiegen.

Die Republikaner glauben, dass der Anspruch der britischen Regierung auf einen Teil Irlands, die Verweigerung der nationalen Selbstbestimmung der Bevölkerung der Insel Irland, die Teilung unseres Landes und die Beibehaltung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit in den sechs Grafschaften (Nordirland) die Ursachen des Konflikts sind.

Die Aufrechterhaltung unseres Stillstands (Stillverhaltens) ist unser Beitrag zum Friedensprozess und zur Schaffung einer Zukunft, in der die Ursachen des Konflikts friedlich gelöst werden. Für unseren Teil ist die IRA-Führung verpflichtet, die Frage der Waffen zu lösen. Die politische Verantwortung für Fortschritte in der gegenwärtigen Situation liegt bei den beiden Regierungen, vor allem der britischen Regierung, und der Führung der politischen Parteien.

Die volle Umsetzung auf fortschreitender und unumkehrbarer Grundlage des Vereinbarten durch die beiden Regierungen, vor allem durch die britische Regierung, wird einen politischen Kontext bilden, in einem andauernden politischen Prozess, der die Besietigung der Ursachen des Konflikts ermöglicht und innerhalb dessen irische Republikaner und Unionisten als Gleichberechtigte die jeweiligen politischen Ziele friedlich verfolgen. In diesem Zusammenhang wird die IRA-Führung einen Prozess beginnen, der die Waffen der IRA vollkommen und auf überprüfbare Weise unbrauchbar machen wird. Wir werden dies auf eine Art tun, die Risiken für die Öffentlichkeit und Verwendung durch andere vermeidet und das größtmögliche öffentliche Vertrauen gewährleistet.

Wir werden den Kontakt mit der Unabhängigen Internationalen Entwaffnungskommission wieder aufnehmen und in weitere Diskussionen mit der Kommission auf der Basis der Verpflichtung der IRA-Führung eintreten, die Frage der Waffen zu lösen. Wir beobachten, ob die beiden Regierungen und vor allem die britische Regierung ihre Verpflichtungen des Karfreitagsabkommens und ihrer gemeinsamen Erklärung erfüllen. Um die rasche und volle Umsetzung des Karfreitagsabkommens und die Maßnahmen der Regierung zu erleichtern, sind unsere Waffen ruhend und sicher. Es gibt keine Bedrohung des Friedesnprozesses von Seiten der IRA.

In diesem Zusammenhang hat die IRA-Führung vereinbart, innerhalb von Wochen eine vertrauensbildende Maßnahme zu schaffen, um zu bestätigen, dass unsere Waffen sicher bleiben. Die Inhalte einer Reihe unserer Waffenlager werden von ausgehandelten dritten Parteien inspiziert, die dies dann der Unabhängigen Internationalen Entwaffnungskommission berichten. Die Lager werden regelmäßig reinspiziert um sicherzustellen, dass die Waffen ruhig geblieben sind."

Übersetzung: Associated Press
Aus FR, 08.05.2000

Anmerkung:
Nach britischen Regierungsangaben verfügt die IRA über ein großes Waffenarsenal und kann selbst auch Waffen herstellen. Zum Arsenal der IRA gehören u.a. mindestens zwei Tonnen Plastiksprengstoff und 650 Kalaschnikows. Dazu kommen eine Fliegerabwehrrakete vom Typ Sam-7 und etwa 40 Panzerfäuste.
(Quelle: FR, 08.05.2000)

Die Erklärung der IRA wurde allgemein begrüßt. Die Zustimmung reichte von Tony Blair und dem irischen Regierungschef Bertie Ahern über den Unionisten-Führer David Trimble bis zu Bill Clinton, der seinerzeit den Friedensprozess in Nordirland, der 1998 zum Karfreitagsabkommen führte, unterstützte.

Im Februar 2000 war das Parlament und die gemischt-konfessionelle Regierung Nordirlands suspendiert worden, nachdem nach Auffassung der Unionisten die Republikaner sich in der Entwaffnungsfrage nicht bewegt hätten. Nun soll die gemeinsame Regierung ihre Arbeit am 22. Mai wieder aufnehmen. Trimble hat aber in den eigenen Reihen erst einmal Widerstände zu beseitigen bzw. Gegner zu beschwichtigen. Hartnäckige Opposition gegen jegliche Zusammenarbeit mit den Republikaner kommt dabei aus der militanten Unionisten Partei des Reverend Ian Paisley sowie aus der starken antirepublikanischen Fraktion von Trimbles eigener Partei UUP.

An der Spitze der Unabhängigen Internationalen Entwaffnungskommission stehen Ex-ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa und der finnische Präsident Martti Ahtisaari.


Die Frankfurter Rundschau kommentierte die Erklärung mit folgenden Worten:

Über den Rubikon

Auf diese IRA-Erklärung hat man lange gewartet. Irlands bewaffnete Republikaner haben das Boot vom Ufer abgestoßen, das sie über den Rubikon der eigenen Geschichte tragen soll. Nach jahrelangem Zögern haben sie sich erstmals darauf verpflichtet, ihre Waffen-Arsenale "unbrauchbar" zu machen. Binnen 12 Monaten wollen sie dieses Ziel erreicht haben....

Das Ende eines langen Krieges ist endlich in Sicht.... Hörbar atmet Nordirland auf....

Nicht mehr mit Blut, nur noch mit Worten und politischen Taten soll Irlands Einheit künftig erfochten werden. Am protestantischen Lager liegt es nun, mittels Zusammenarbeit den Republikanern auf der anderen Seite an Land zu helfen. David Trimbles Unionisten haben die Chance, sich selbst und dem Rest Nordirlands eine feste Friedensbasis zu bescheren: Es ist fast undenkbar, dass sie diese Chance - beim Treffen der Ulster-Unionisten am 20. Mai - ausschlagen.
P.N.
FR, 08.05.2000

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