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Ortega steht vor Wiederwahl

Der Urnengang zur Nicaraguas Präsidentschaft am Sonntag scheint reine Formsache zu sein

Von Markus Plate, San José *

Der einstige sandinistische Revolutionsführer Daniel Ortega wird wohl auch die nächsten fünf Jahre an der Spitze Nicaraguas stehen. Die Meinungsumfragen sehen ihn für die Wahl am Sonntag (6. Nov.) deutlich vor seinen rechtsliberalen Konkurrenten.

Wenn jemand Daniel Ortega Saavedras Wiederwahl überhaupt noch gefährden kann, dann ist es ein 79-Jähriger. Fabio Gadea, rechts-konservativer Medienunternehmer und Kandidat einer Allianz um die Unabhängige Liberale Partei (PLI), kommt in Meinungsumfragen kurz vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am Sonntag immerhin auf ein Drittel der Stimmen. Er landet »nur« zwölf Punkte hinter Ortega.

Es hätte sogar noch enger werden können, wäre da nicht Arnoldo Alemán, der berüchtigte Ex-Präsident von der Liberal-Konservativen Partei (PLC). Alemán ist aufgrund seiner Verurteilung wegen massiver Veruntreuung aus dem Jahre 2003 zwar für die meisten Nicaraguaner unwählbar. Doch die zehn Prozentpunkte, die er in Umfragen erreicht, verringern die Chancen des rechten Lagers bei den anstehenden Wahlen in Zentralamerikas größtem Land beträchtlich.

Links von der Frente Sandinista de Liberación Nacional (Sandinistische Nationale Befreiungsfront, FSLN) von Ortega gibt es bei diesen Wahlen keine Alternative. Die Bewegung zur Erneuerung des Sandinismus (MRS), die 2006 immerhin auf einen knappen zweistelligen Stimmanteil kam, stellte dieses Jahr keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten auf. Von linker Seite hat der 65-jährige Regierungschef also nichts zu befürchten. Und ob die sandinistischen Dissidenten für Gadea stimmen, nur weil sein Vizepräsidentschaftskandidat Edmundo Jarquín aus den Reihen der MRS stammt, ist mehr als fraglich. Gadea selbst stand in den 1980er Jahren während des Bürgerkriegs auf Seiten der Contras.

Während sich die Rechtsallianzen in Scharmützeln ergehen, veranstalten Ortega und seine Ehefrau, Rosario Murillo, einen Kuschelwahlkampf. Murillo verdonnerte die eigene Basis, jede Art von Konfrontation und Gewalt im Wahlkampf zu unterlassen, um »diese Stimmung der Ruhe, der Festlichkeit und der Fröhlichkeit«, die Nicaragua genieße, zu bewahren. Die Regierung blicke auf fantastische Erfolge zurück: Sozialprogramme gegen Hunger, Wohnungsmangel sowie teure Bustickets. Passend dazu der Wahlkampfhit der Sandinisten: »Nicaragua wird triumphieren« mit der Melodie des Klassikers »Stand by me«.

Dass die sozialen Wohltaten der FSLN zu einem großen Teil von venezolanischer Unterstützung abhängen, dürfte die Mehrheit der 5,8 Millionen Nicaraguaner nicht stören. Zumal die politischen Gegner als Alternativen allenfalls Luftschlösser anzubieten haben. Galdea wie Alemán versprechen Arbeitsplätze, Steuererleichterungen und ein explodierendes Wirtschaftswachstum. Wo dieses herkommen soll, bleibt nebulös.

Auch auf anderen Politikfeldern hat Ortega von konservativer Seite wenig zu befürchten. Die von Ortega und Murillo durchgepeitschte absolute Verschärfung des Abtreibungsrechts wird sowohl von Alemán als auch von Gadea unterstützt. Der von Ortega heraufbeschworene Grenzkonflikt mit Costa Rica wird von seinen rechten Herausforderern allenfalls halbherzig kritisiert und mit Angeboten für junge Menschen, für Frauen und für die Landbevölkerung kann Ortegas Konkurrenz ebenfalls nicht aufwarten. Doch nur mit deren Stimmen könnten sie die Wahl für sich entscheiden, da sie gegenüber Älteren, Männern und Stadtbewohnern die Mehrheit in der nicaraguanischen Bevölkerung ausmachen. Zu guter Letzt kam Ortega in den letzten Wochen auch noch der Himmel zu Hilfe - in Form von tagelangen Wolkenbrüchen, die Überflutungen und massive Schäden verursachten. Der Staatspräsident gibt sich seither als unermüdlicher Katastrophenhelfer und Vater der Nation.

Während nun alle Umfragen für Ortega sprechen, wusste die FSLN seit ihrem Wahlsieg 2006 die Opposition auch mit unsauberen Methoden in Schach zu halten. Die Besetzung von Schlüsselpositionen in allen Instanzen des Staates durch Getreue, einschließlich der Wahlbehörden und der Justiz, die Unregelmäßigkeiten bei den Kommunalwahlen 2008 oder anhängige Anfechtungsklagen gegen die Aufstellung von 50 Parlamentskandidaten der PLI von Fabio Gadea sehen Kritiker von links und rechts als Beweis für Ortegas Bestreben, die Macht in Nicaragua nach Möglichkeit absolut zu gestalten. Ob auf demokratischen oder weniger demokratischen Wegen, er nähert sich diesem Ziel.

* Aus: neues deutschland, 5. November 2011

CHRONIK: Von Sandino bis Ortega

  • 1927-1933 Aufstand gegen die US-Besatzung unter Führung von Augusto César Sandino
  • 1933 Abzug der US-Truppen; Bildung der Nationalgarde unter Anastasio »Tacho« Somoza
  • 1934 Sandino wird auf Somozas Befehl hin ermordet
  • 1936 Beginn der Somoza-Familien-Diktatur durch Putsch am 2. Juni
  • 1956 Attentat auf Anastasio Somoza García, der am 29. September den Folgen erliegt, sein Sohn Luis Somoza Debayle übernimmt die Präsidentschaft
  • 1961 Am 23. Juli wird die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) gegründet
  • 1978 Erster, misslungener Aufstandsversuch in Monimbó
  • 1979 Erneuter Volksaufstand unter Führung der FSLN, Bildung einer provisorischen Regierung, Flucht der Somoza-Familie, offizielle Machtübernahme am 19. Juli
  • 1980 Rückzug der Nichtsandinisten aus der Regierung
  • 1981 Beginn des Aufbaus bewaffneter »Contras« zur Destabilisierung Nicaraguas, von den USA finanziert
  • 1984 Daniel Ortega gewinnt die Präsidentschaftswahlen
  • 1985 USA verhängen Wirtschaftsembargo gegen Nicaragua
  • 1990 Präsidentschaftswahlen am 25.Februar: Violeta Chamorro siegt mit 54,7 Prozent der Stimmen vor Daniel Ortega (40,8 Prozent), USA heben am 13. März das Wirtschaftsembargo auf, der Abschluss der Entwaffnung der Contras wird am 27. Juni bekanntgegeben
  • 1996 Dr. Arnoldo Alemán von der Liberalen Partei (PLC) schlägt Ortega und wird neuer Präsident
  • 2001 Enrique Bolaños (PLC) besiegt Ortega mit 56,3 Prozent der Stimmen
  • 2006 Daniel Ortega (FSLN) siegt mit 38,0 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen
  • 2007 Nach 17 Jahren kehrt Daniel Ortega am 10. Januar wieder an die Staatsspitze zurück
nd




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