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Ortega führt

In Nicaragua deutet alles auf einen Wahlsieg der Sandinisten hin. Hysterische Kampagne der Opposition

Von André Scheer *

In Nicaragua wittert die Tageszeitung El Nuevo Diario eine Intervention der USA in den Präsidentschaftswahlkampf. Anlaß für den Aufschrei des stramm rechten Blattes war der Auftritt des exzentrischen nord­amerikanischen Boxpromoters Don King am vergangenen Wochenende bei einem Pferderennen am Feiertages zu Ehren von Managuas Stadtheiligem Santo Domingo de Guzmán. Dabei trug King zeitweilig ein rotes Stirnband mit der Aufschrift »Santo Domingo« und spreizte zwei Finger zum Siegeszeichen. Für El Nuevo Diario war das aber eine »Einmischung der Yankees«, wie die Zeitung unter Anspielung auf den Diskurs von Staatspräsident Daniel Ortega formulierte. Don King, der sich 2004 für die Wiederwahl des damaligen US-Präsidenten George W. Bush engagiert hatte, habe durch sein Outfit Werbung für die Sandinisten gemacht, seine Geste mit der Hand sei eine Demonstration für die »Liste 2« bei den Wahlen, die Kandidatur der Sandinisten, gewesen.

Die hysterische Berichterstattung der Oppositionspresse begleitet einen Wahlkampf, der schon zu seinem Beginn entschieden scheint. Allen Umfragen zufolge braucht sich Staatschef Daniel Ortega um seine Wiederwahl am 6. November keine Sorgen zu machen. 2006 war er mit knapp 38 Prozent der Stimmen gewählt worden. Das reichte zum Sieg, weil nach dem nicaraguanischen Wahlrecht dazu nicht die absolute Mehrheit, sondern nur 40 Prozent der Stimmen notwendig sind – oder sogar nur 35 Prozent, wenn der Abstand zum Folgenden mehr als fünf Prozentpunkte beträgt. Das war der Fall, weil die bürgerlichen Parteien zwar zusammen auf deutlich über 50 Prozent gekommen wären, ihre Zersplitterung aber nicht hatten überwinden können. Die großzügigen Regelungen für einen Wahlsieg hatten die Sandinisten im Vorfeld der Abstimmung mit Hilfe einer Fraktion der nicaraguanischen Liberalen selbst im Parlament durchgesetzt.

In diesem Jahr dürfte Ortega darauf sogar verzichten können. Die Umfragen sehen ihn stabil über 50 Prozent, alle Konkurrenten sind weit abgeschlagen. Der Rundfunkunternehmer Fabio Gadea, der für ein Bündnis aus Unabhängiger Liberaler Partei (PLI) und anderen Oppositionskräften antritt, liegt demnach bei gerade einmal 14,1 Prozent, Expräsident Arnoldo Alemán auf dem dritten Platz sogar nur bei 5,8 Prozent. Während die Zahl der unentschlossenen Wähler abnimmt, konnte Ortega seinen Vorsprung zuletzt sogar noch ausbauen.

Dazu hat sicherlich beigetragen, daß die Regierungspolitik im sozialen Bereich viele Skeptiker überzeugt hat. Er führte Nicaragua in das antiimperialistische Staatenbündnis ALBA, wodurch das zentralamerikanische Land von der solidarischen Unterstützung aus Venezuela und Kuba profitierte. So gelang es offiziellen Angaben zufolge mit der kubanischen Methode »Yo Sí Puedo« (Ja, ich kann), den Analphabetismus in der Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 65 Jahren von von 20 Prozent im Jahr 2005 auf 3,0 Prozent 2010 zu reduzieren. Insgesamt stiegen die Bildungsausgaben im gleichen Zeitraum von 230,6 Millionen auf 354,1 Millionen US-Dollar.

Die Situation von Frauen und Mädchen in Nicaragua bleibt hingegen ein ungelöstes Problem. Wie die Nachrichtenagentur IPS am Dienstag unter Berufung auf offizielle Angaben meldete, wurden im vergangenen Jahr rund 3770 Sexualdelikte angezeigt. 39 Frauen und Mädchen wurden in diesem Zeitraum ermordet. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte in ihrem Jahresbericht 2010, die Regierung in Managua habe zu wenig zum Schutz der Opfer unternommen: »Die offiziellen Bemühungen zur Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen blieben wirkungslos.« Zugleich hält die Regierung an dem 2006 verhängten Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen fest, das selbst Abtreibungen nach einer Vergewaltigung oder bei Lebensgefahr für die Mutter unter Strafe stellt. Die Gesetzesverschärfung war kurz vor der letzten Präsidentschaftswahl auf Initiative der katholischen Kirche und der rechten Liberalen Konstitutionalistischen Partei (PLC) im Parlament beschlossen worden – mit Unterstützung der Sandinisten.

Ortegas Ehefrau Rosario Murillo, die die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung und den Wahlkampf der Sandinisten leitet, wies in dieser Woche erneut Forderungen nach einer Liberalisierung zurück: »Wir sind für das Leben. Wir haben wirklich die Lehren des Glaubens, die Lehren des Christentums verinnerlicht«. Auf dem Internetportal der Regierung wird der Opposition vorgeworfen, für sie seien Schwangerschaftsabbrüche »ein lukratives Millionen-Dollar-Geschäft, das auf der Geringschätzung des Lebens der Mütter und ihrer Kinder beruht«.

* Aus: junge Welt, 5. August 2011


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