Konflikt um Wiederwahl Ortegas weitet sich aus
Rechte Opposition in Nicaragua wartet mit neuen Vorwürfen auf
Von Luis Beatón, Managua, und Harald Neuber *
Rund zwei Wochen nachdem der Oberste Gerichtshof Nicaraguas den Weg zur Wiederwahl von
Präsident Daniel Ortega freigegeben hat, weitet sich die Kontroverse in dem mittelamerikanischen
Land aus und belastet überdies das ohnehin angespannte Verhältnis zur EU.
Ein Satz schlägt hohe Wellen: Die Beschränkung der Wiederwahl sei nicht »anwendbar«. Eine
entsprechende Klausel verletze die Persönlichkeitsrechte der Kandidaten. Mit dieser Entscheidung
setzten die Richter der verfassungsrechtlichen Kammer des Obersten Gerichtshofes am 19. Oktober
einen zentralen Bestandteil der Verfassungsreform von 1995 außer Kraft. Das Urteil bedeutete einen
entscheidenden Sieg für die Sandinistische Front zur Nationalen Befreiung. Die Regierungspartei
will Ortega bei den kommenden Wahlen 2011 erneut ins Rennen schicken, damit er sein
begonnenes Sozialprogramm weiterführen kann.
Die Kritik der Opposition an der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes hält seitdem
unvermindert an, will sie doch Ortegas neuerliche Kandidatur unbedingt verhindern. Oppositionelle
Parteien beklagen nun die vermeintlich engen Verbindungen zwischen Ortega und Roberto Rivas,
einem Richter am Obersten Wahlgericht.
Dennoch verteidigten der Vizepräsident des Obersten Gerichtshofes, Rafael Solis, und der Präsident
der verfassungsrechtlichen Kammer, Francisco Rosales, die Entscheidung. Ihr Urteil sei schließlich
hinreichend begründet, so die Juristen, die den Artikel 147 der Verfassung für rechtswidrig erklärten.
Das Wahlgericht wurde angewiesen, Ortega und mehreren klagenden Regionalpolitikern schriftlich
das Recht zur neuerlichen Kandidatur zuzugestehen. Bei allen Entscheidungen waren die Richter,
die der rechtsliberalen Opposition zugerechnet werden, ferngeblieben.
Unter den Kritikern befindet sich auch der ehemalige Staatschef Arnoldo Alemán, der wegen
nachgewiesener Korruptionsdelikte inhaftiert war. Zugleich hat der Fall eine andauernde politische
und juristische Auseinandersetzung provoziert. Laut der Verfassung des mittelamerikanischen
Landes darf sich keine staatliche Gewalt über die in der Verfassung definierten Grundsätze
hinwegsetzen. Auch die verfassungsrechtliche Kammer des Obersten Gerichtshofes ist in ihrer
Entscheidungsbefugnis demnach beschränkt.
Nicaraguanische Medien verweisen zudem darauf, dass laut Verfassung das Verbot der Wiederwahl
einzig vom Parlament verändert oder gar aufgehoben werden kann.
Oppositionsführer und private
Wirtschaftskreise riefen ihre Anhänger daher zu einer Kampagne gegen die Entscheidung des
Gerichts auf, obgleich diese nach Ansicht politischer Beobachter nicht mehr rückgängig gemacht
werden kann. Selbst nach Ansicht des liberalen Juristen Donald Lacayo ist das Recht auf eine
Wiederwahl von internationalen Rechtsnormen gedeckt. Zudem, so Lacayo, gelte es für Anwärter
aus allen Lagern. Anhänger Ortegas verwiesen darauf, dass die Begrenzung der Wiederwahl auch
in Costa Rica und Kolumbien für die jeweiligen Staatschefs, Oscar Arias und Alvaro Uribe,
abgeschafft wurde. Auch deswegen gebe es an der Entscheidung nichts zu rütteln, bekräftigte
Roberto Rivas vom Wahlgericht.
Das Thema belastet zunehmend auch das Verhältnis zur EU. Bei der jüngsten Sitzung der EUArbeitsgruppe
Lateinamerika am 3. November forderten die Mitgliedstaaten die für die Region
zuständige spanische Regierung auf, Managua den Protest gegen die Gerichtsentscheidung in einer
Demarche mitzuteilen. Die schwedische EU-Präsidentschaft drängte Spanien, den Protest öffentlich
zu machen. Gegen eine formelle Protesterklärung der Europäischen Union sprach sich indes nicht
nur die Regierung in Madrid, sondern auch die EU-Kommission aus. Beide Seiten plädieren für die
Fortsetzung des politischen Dialogs mit der nicaraguanischen Regierung.
Bis auf weiteres will die EU jedoch die Budgethilfe für Nicaragua aussetzen. Die Strafmaßnahme
war im vergangenen Jahr nach den nicaraguanischen Regionalwahlen in beschlossen worden. Die
EU hatte sich damals den Vorwürfen der Opposition angeschlossen, denen zufolge die Abstimmung
von den regierenden Sandinisten manipuliert wurde. Die Anschuldigung konnte jedoch nie bewiesen
werden. Das Thema der Budgethilfe soll demnächst bei einem Treffen der EU-Außen- und
Entwicklungsminister in Brüssel beraten werden.
* Aus Neues Deutschland, 12. November 2009
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