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Armeezelte waren der Anfang

Das Hospital "Carlos Marx" in Managua, einst von der DDR aufgebaut, existiert noch heute

Von Christian Klemm *

Armeegrüne Zelte aus Rostock machten im Mai 1985 den Anfang. Fertigteilhäuser, Operationssäle, Entbindungsstation, Apotheke, Labor sowie Röntgenabteilung sollten folgen. Das »Hospital Carlos Marx«, im Nordosten der nicaraguanischen Hauptstadt Managua gelegen, war eines der größten Solidaritätsprojekte der DDR.

Am 2. Februar 1990 berichtete ND über die ungewisse Zukunft des »Carlos Marx«. Partner wie die Ministerien für Gesundheitswesen und Bauwesen der DDR würden weiterhin an dem Projekt mitarbeiten. Man bemühe sich, so der Autor Bernd Gräßler damals, »andere interessierte Kräfte für eine gleichberechtigte Mitarbeit zu gewinnen«. Daraus wurde nichts: Erst wickelte Bonn die DDR ab, dann wurde das Hospital der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) übertragen. Die Bundesrepublik war damit für das »Carlos Marx« verantwortlich.

Vor etwa 25 Jahren, mitten im Contra-Krieg, konnten die Einwohner im Armenviertel Xolotlan medizinisch nur notdürftig betreut werden. Denn in Managua waren Krankenhäuser Mangelware. Für die Bezirke 9 und 10 der Landeshauptstadt mit einem Einzugsgebiet von damals rund 300 000 Menschen gab es nur zwei nationale Gesundheitseinrichtungen. Der DDR war zu verdanken, dass sich das änderte. Am 23. Juli weihten Daniel Ortega, damals wie heute Präsident Nicaraguas, und Hermann Tschersich, Staatssekretär im Ministerium für Gesundheitswesen der DDR, das Hospital ein. Knapp zwei Wochen später wurden dort die ersten Patienten behandelt, zunächst noch in Zelten.

Als sie »Hals über Kopf« nach Managua kam, sei die medizinische Situation vor Ort schlecht gewesen, sagt Renate Greupner, die von August 1988 bis Juli 1990 im »Carlos Marx« gearbeitet hat. Das Elend in der Hauptstadt war groß, so die Rostocker Kinderärztin. Durch den Terror der Contras im Norden des Landes waren viele Nicaraguaner nach Managua geflüchtet. »Eine schwierige Situation für die damalige Regierung«, konstatiert Greupner gegenüber ND.

Zunächst wurden die Patienten in NVA-Containern operiert. »Bei 40 Grad Hitze«, wie Wolfgang Dörffel, ebenfalls Kinderarzt, sagt. Später habe man ein Schleppdach benutzt, um für mehr Schatten zu sorgen. Der Berliner hat 1987 für sechs Monate im »Carlos Marx« gearbeitet. Das Hospital habe einen guten Standard gehabt, so Dörffel, dennoch wurde bei der täglichen Arbeit viel improvisiert. Wie Renate Greupner ist auch er ohne Vorbereitung nach Nicaragua gegangen. »Denn eigentlich war ich für einen Solidaritätseinsatz in Äthiopien vorgesehen.«

Finanziert wurde das »Carlos Marx« mit Spendengeldern, die in der DDR gesammelt wurden. FDGB, Nationale Front und kirchliche Organisationen wie die Gossner-Mission zahlten auf das Krankenhaus-Konto des Solidaritätskomitees fleißig ein; von 1985 bis 1990 fast 28 Millionen Mark. Die Koordination dieses Mammutprojektes besorgte die FDJ. 85 Prozent der Medikamente lieferte die DDR an das Krankenhaus, in dem ausschließlich Ost-Technik verwendet wurde. So konnte die Wirtschaftsblockade, die die USA 1980 über das sandinistische Nicaragua verhängt hatte, umgangen werden. Bis zu 100 deutsche Ärzte, Schwestern, Dolmetscher und Techniker haben gleichzeitig im Krankenhaus gearbeitet. Die Gesundheitsversorgung war seit dem Sieg der Sandinisten über die US-hörige Somoza-Diktatur kostenlos.

Ab Anfang 1990 stand auch das deutsche Krankenhaus in Xolotlan auf der Kippe. »Seine Existenz war in Gefahr«, sagte Kinderärztin Greupner dem ND. Hinzu kam, dass die Treuhand alle Mittel des Solidaritätsdinestes International (SODI), dem rechtskräftigen Nachfolger des Solidaritätskomitees der DDR, sperrte. Die Begründung damals: Der Verein habe die aus der DDR stammenden Spendengelder nicht rechtmäßig erworben.

Mit dem Ende der DDR begannen die Probleme im »Carlos Marx«, erinnert sich Wolfgang Dörffel. Die ostdeutsche Wirtschaft kam zum Erliegen. Ersatzteile für medizinisches Gerät konnte nicht mehr geliefert werden. Die GTZ schaffte neue Medizintechnik und einen neuen Fuhrpark an. Gegen klingende Münze, versteht sich.

Im Februar 1990 wurden die Sandinisten in Nicaragua abgewählt und eine bürgerliche Parteienkoalition übernahm die Macht. Wie die Bundesrepublik schickte sich auch das »vom kubanischen Kommunismus befreite« Nicaragua an, die Erinnerung an die sandinistische Revolution zu entsorgen: Im November 1993 benannte Staatspräsidentin Violeta Chamorro das Krankenhaus offiziell in »Hospital Aleman Nicaragüense« (HAN; Deutsch-Nicaraguanisches Krankenhaus) um. Zuvor hatte die Chamorro-Regierung die unentgeltliche Gesundheitsversorgung abgeschafft – ganz im Sinne von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. 1998 übernahm das nicaraguanische Gesundheitsministerium das ehemalige DDR-Projekt. Da war die Amtszeit von Violeta Chamorro schon wieder Geschichte. Der Liberale Arnoldo Aleman wurde ihr Nachfolger.

»Noch heute gibt es im Krankenhaus einige Geräte made in Ostdeutschland«, sagt Susanna Christen. Sie hat 2007 für zwei Monate als Schwesternschülerin am HAN gearbeitet. Vergangenes Jahr war sie erneut in Managua. »Eine Therapielampe aus der DDR ist in der Physiotherapie noch immer im Einsatz. Auch das Mobiliar stammt zum Teil noch aus alten Zeiten«, berichtet sie. Im Kollegium arbeiten dagegen ausschließlich Nicaraguaner. Deutsche seien im HAN nur noch als Gäste tätig, so Christen.

Aktuell verfügt das HAN über 192 Betten und beschäftigt 647 Mitarbeiter. Da die Konstruktion auf zehn Jahre angelegt war, befinden sich die Fertigteilhäuser, die Mitte der 80er Jahre in Stralsund aus Holz gefertigt wurden und zum Teil heute noch stehen, in einem schlechten Zustand. Sie sind in den 20 Jahren von Termiten zersetzt worden. Außerdem sind einige Metallbetten und Beistelltische verrostet. Bettwäsche ist im HAN kaum vorhanden. Sie wird von den Patienten selbst mitgebracht, erzählt Christen. »Auch die Hygiene ist mit Krankenhäusern in Deutschland nicht vergleichbar.«

Zum 20-jährigen Jubiläum des Krankenhauses besuchten 35 ehemalige deutsche Mitarbeiter unter dem Motto »reacercamiento« (Wiederannäherung) das HAN. Auch ihnen dürften die Mängel im Krankenhaus nicht entgangen sein. Um die Ausstattung zu verbessern, hat sich der Förderkreis »Freunde des HAN« unter dem Dach von SODI gegründet. Seitdem sind die alten Beziehungen wieder aufgeflackert.

In den vergangenen Jahren hat sich im Krankenhaus einiges getan: Im Mai 2009 wurde eine Intensivtherapiestation mit sechs Betten eingerichtet, wesentlich durch die »Freunde des HAN« organisiert und finanziert. Seitdem müssen Patienten, die eine intensivmedizinische Beobachtung benötigen, nicht mehr in andere Krankenhäuser Managuas transportiert, sondern können vor Ort behandelt werden. Die Holzhäuser wurden teilweise durch Gebäude aus Mauerwerk ersetzt. Die Innere Medizin aber ist nach wie vor in den alten Baracken beheimatet. Auch fehlt in den meisten Stationen eine Klimaanlage. Bei einer Durchschnittstemperatur in Managua um 27 Grad Celsius eine zusätzliche Belastung für Patienten und Angestellte.

Auch in Nicaragua insgesamt hat sich etwas zum Positiven verändert: Seit der erneuten Machtübernahme von Daniel Ortega Anfang 2007 ist die Gesundheitsversorgung wieder kostenlos. Ebenso müssen Schulen und Universitäten nicht mehr bezahlt werden. Außerdem hat die sandinistische Regierung das Sozialprogramm »hambre cero« gestartet. Um die Ernährungssituation zu verbessern und zusätzliche Einkommensquellen für den Binnenmarkt zu erschließen, erhalten Bauern Tiere, Saatgut und Baumaterialien vom Staat. Es scheint, als ob Ortega zuallererst Politik für die armen Nicaraguaner macht – trotz aller Unkenrufe aus dem In- und Ausland.

Die Bilanz des ehemaligen DDR-Krankenhauses nach 20 Jahren kann sich sehen lassen: Etwa 1,6 Millionen ambulante Konsultationen wurden durchgeführt, 220 000 Patienten stationär behandelt, 78 000 Kinder geboren und 75 000 chirurgische Eingriffe vorgenommen. Auch deshalb hat Alfredo Borge Palacios, der heutige Direktor, das HAN einen »Meilenstein« in der Geschichte Nicaraguas genannt. Dieser Meilenstein hat kräftig gewackelt. Umgefallen ist er nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Februar 2010


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