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Nicaragua: Der faire Kaffee mit der feinen Note

Von Toni Keppeler, Jinotega

650 nicaraguanische KaffeebäuerInnen haben sich im Kooperativenverband Soppexcca zusammengeschlossen. Viele von ihnen mussten vor zehn Jahren noch betteln gehen. Heute haben sie ein sicheres Auskommen – auch wegen Fair-Trade-Verträgen.

An richtig harten Tagen trinkt Manuel Pavón bis zu fünfzig Tassen Kaffee. Am liebsten hat er ihn hell geröstet. «Er hat dann mehr Säure, und man schmeckt die feinen Noten von Zitrusfrüchten besser heraus.» Pavón mag es, wenn Kaffee frisch und fruchtig schmeckt. Die dunk­len, schweren Sorten mit viel Koffein und Aromen von Schokolade oder Vanille sind nicht so sehr seine Sache. Manchmal bekommt er auch eine Tasse vorgesetzt, die vergoren schmeckt, nach Essig, Schimmel oder gar nach Benzin.

Pavón sitzt vor einer Tasse Kaffee im Café der Kooperative «Vereinigung kleiner Produzenten, Exporteure und Käufer von Kaffee» (Soppexcca) in der Provinzstadt Jinotega in den Bergen des nördlichen Nicaragua. Sein Kaffee wurde aus Catura-Bohnen, einer Kreuzung aus Arabica und Bourbon, gebraut – hell geröstet. «In diesem Lokal», sagt der junge Mann, «wird einer der besten Kaffees des Landes serviert.» Pavóns Arbeit: Kaffee trinken. Er ist einer von drei Sommeliers bei Soppexcca. Drei Jahre hat er an einer Akademie studiert und dort jeden Tag Kaffee geschnuppert, gekaut, im Mund gerollt.

Mittlerweile kann Pavón aus dem Geschmack des Kaffees Rückschlüsse ziehen: ob die Kaffeesträucher zu eng aufeinander stehen oder ob sie zu wenig Schatten haben. Ob unreife Kirschen geerntet wurden oder gar überreife. Ob beim Waschen, Trocknen oder bei der Lagerung geschlampt wurde. Seine Ergebnisse trägt er in ein Formular ein, das Grundlage ist für die nächste Beratung mit den KaffeebäuerInnen.

Fairer Kaffee nach 1980

Dem Kaffee von Bauer Leonardo Valles hat Pavón 87 von 100 möglichen Punkten gegeben. 100-Punkte-Kaffee, sagt der Sommelier, «den gibt es nicht. Schon Kaffees mit über 90 sind die absolute Ausnahme.» 87, das sei «allerbes­te Exportqualität». Valles grinst. Er zieht die Baseballmütze tiefer ins runde Gesicht, fast so, als wäre ihm das Lob ein bisschen peinlich. «Ich bin unter Kaffeesträuchern geboren worden und aufgewachsen», sagt Valles. «Aber von Qualität hatte ich vor ein paar Jahren noch keine Ahnung.»

Valles ist Präsident der Kaffeekooperative 19. Juli im Weiler Los Cuchillos, gut vierzig Kilometer nördlich von Jinotega. Der Name, sagt er, habe nichts mit dem Jahrestag des Triumphs der sandinistischen Revolution zu tun. Es war zufällig der 19. Juli, als die Kooperative 1984 gegründet wurde. «Damals wütete hier der Krieg gegen die Contras, und alles war rationiert – Lebensmittel, Kleider, Materialien für die Landwirtschaft. Als Kooperative kam man da leichter ran; auch an Kredite.» Es war ein Zusammenschluss aus der Not. Für die Vermarktung des Kaffees hatte die Kooperative keine Bedeutung. Darauf hatte bis zur Wahlniederlage der SandinistInnen 1990 der staatliche Exporteur Encafé das Monopol. Doch: «Auf Qualität legten die Einkäufer keinen Wert», sagt Valles.

Solidaritätskaffee aus Nicaragua war einst berühmt. Schon die erste Ernte nach dem Sturz des Somoza-Clans wurde 1980 von der deutschen Fair-Trade-Organisation Gepa in Europas Drittweltläden angeboten. Manchmal war dieser Kaffee so sauer und bitter, dass er fast ein Loch in die Magenwand brannte. Wer sich mit dem neuen Nicaragua solidarisch fühlte, trank ihn trotzdem. Es war eine Frage der Ideologie, nicht des Geschmacks. «Kaffee dieser Qualität wird heute höchstens noch zu löslichem Kaffee verarbeitet», sagt Fátima Ismael, die Geschäftsführerin von Soppexcca.

Ismael ist eine der wenigen wichtigen Frauen im Geschäft. Seit 1997, als Soppexcca­ gegründet wurde, ist sie die Chefin. «Wir haben mit 68 ProduzentInnen angefangen.» Heute sind es über 650, und immer mehr sind Frauen. «In etlichen unserer Kooperativen haben Frauen die Mehrheit», sagt sie. Soppexcca ist keine Kooperative im eigentlichen Sinn, es ist eine Kooperative von Kooperativen. «Wir haben Kooperativen, die aus früheren Staatsbetrieben hervorgegangen sind, solche, die schon in den achtziger Jahren unter der sandinistischen Regierung gegründet wurden, und solche, die erst während der grossen Kaffee­krise zu Beginn dieses Jahrtausends entstanden.» Soppexcca vereinigt heute achtzehn Ko­operativen unter ihrem Dach.

Die Kooperative Julio Hernández ist ein Kind der grossen Kaffeekrise. Damals sank der Weltmarktpreis für Kaffee bis auf vierzig US-Dollar pro hundert US-Pfund (45,4 Kilogramm). Die Produktionskosten liegen in Nicaragua bei knapp hundert US-Dollar. «Wir mussten um Essen betteln», erinnert sich Ana María González. Seit 1980 lebt die 51-Jährige im Weiler Corinto Finca, rund zwanzig Kilometer nordöstlich von Jinotega.

Als sie 1980 nach Corinto Finca kam, war das Dorf ein einziger Staatsbetrieb, hervorgegangen aus einer Plantage, die Lilian Somoza gehört hatte, der Schwester des gestürzten Diktators. González, aus dem Süden Nicaraguas, suchte Arbeit und fand sie hier. «Der Vater meines Sohnes hatte uns verlassen, und irgendwie musste ich mich durchschlagen. Ich zog von Dorf zu Dorf, und hier bin ich geblieben.» Von Kaffee hatte sie keine Ahnung, aber das war auch gar nicht nötig. «Wir haben immer getan, was uns der Vorarbeiter sagte.» Dafür bekam sie ein kleines Zimmer und etwas Lohn.

Als die SandinistInnen 1990 abgewählt worden waren und die Staatsbetriebe aufgelöst wurden, war die Zukunft der Plantage ungewiss. «Wir arbeiteten einfach weiter. Wir hatten ja Vorarbeiter, und die wussten, was zu tun war.» Bis zur Krise 2001. Da nahm die Geschäftsführung den letzten Rest aus den Kassen und setzte sich ab. Löhne hatte es schon lange keine mehr gegeben, jetzt waren auch noch die Leute fort, die immer gesagt hatten, was zu tun war. «Wir haben das Land einfach aufgeteilt, jeder tat, was er konnte.» Wenn González heute daran denkt, was ihr die Zwischenhändler damals für ihren Kaffee boten, dann muss sie lachen. Soppexcca bezahlt ihr heute mehr als das Fünfzehnfache.

Schwerer Neuanfang

Doch auch die Geschichte von Soppexcca hat ihre dunklen Seiten. Ihr rechtlicher Vorgänger, der 1990 gegründete Kooperativen-Zusammenschluss Hiprocop, war 1996 bankrottgegangen. Zwar hatte die damalige Geschäftsführung schon erste Fair-Trade-Verträge abgeschlossen. Die ProduzentInnen aber wussten nichts davon. Den Aufpreis, den die KundInnen für den fair gehandelten Kaffee bezahlten, steckten die ChefInnen in die eigene Tasche. Dazu häuften sie einen Schuldenberg an, bis Hiprocop zusammenbrach.

«Der Neuanfang war schwer», erinnert sich Geschäftsführerin Fátima Ismael. Sie übernahm nicht nur den Schuldenberg und frus­trierte ProduzentInnen, «wir hatten zudem noch den Ruf geerbt, korrupt zu sein». In zähen Verhandlungen gelang es ihr, sich mit den GläubigerInnen auf ein Schuldenmoratorium und langfristige Rückzahlungsverträge zu einigen. «Von da an sind wir ständig gewachsen.»

Von den 650 ProduzentInnen bebaut jeder im Schnitt drei Hektaren mit Kaffee, meist mit der Sorte Catura. Von der Jahresproduktion von rund 20  000 Säcken in Exportqualität kauft Soppexcca 16 000 auf. «Wir haben nicht genügend Kapital, um alles zu kaufen», entschuldigt sich Ismael. «Den Rest müssen die Produzenten selbst vermarkten.» Für 65 Prozent des Kaffees hat Soppexcca Garantieverträge mit sechs verschiedenen Fair-Trade-Organisationen, der Rest wird an den Rohstoffbörsen in London und New York verkauft. Zwanzig Prozent sind Bioproduktion. «Wir sind dabei, diesen Anteil zu erhöhen», sagt Ismael. «Und wir wollen ganz langsam auch einen lokalen Markt für Qualitätskaffee aufbauen.» In Nicaragua wird vorwiegend Kaffee getrunken, der nicht gut genug für den Export ist. Soppexcca vermarktet direkt, an Cafés, Botschaften und nichtstaatliche Organisationen. «Supermärkte lohnen sich nicht. Da bleibt zu viel Geld beim Handel hängen.»

Neu in der Kooperative

Der Kooperativenverband hat heute eine eigene Kaffeewaschanlage und einen eigenen Trockenplatz, ein Labor zur Prüfung der Qualität und BeraterInnen für die ProduzentInnen. Drei Schulen wurden gebaut, in Gegenden, in denen es vorher keine gab. «Alle Kinder unserer Produzenten gehen zur Schule», sagt Ismael. «Alle bekommen ein Paket mit Heften, Bleistiften und Büchern.» Es gibt Gesundheitszentren und sogar regelmässige Krebsvorsorgeuntersuchungen für die Frauen. Finanziert wird das alles mit dem fairen Handel (siehe untenstehend: «Der Preis der Bohne»).

2003 kam auch Ana María González zu Ismael, zusammen mit neun Frauen und drei Männern. Sie wollten eine Kooperative gründen, und Soppexcca half. Nach drei Jahren Verhandlungen hatten die GenossInnen Besitz­urkunden für ihr Land, die Kooperative wurde ins Firmenregister eingetragen. «Heute sind wir 21 Frauen und 11 Männer, ich bin die Präsidentin», sagt González. «Wir haben gelernt, wie man eine Pflanzung anlegt und wie man Schädlinge ohne Chemie bekämpft. Ich habe Kredite bekommen und eine Kuh gekauft. Meine 18-jährige Tochter macht eine Ausbildung zur Agrartechnikerin.» Ihr Sohn, heute 35-jährig, hatte diese Chance noch nicht. Er musste nach der sechsten Klasse auf die Plantage.

Von der Bank vor ihrem Häuschen in Corinto Finca kann man weit über die hügelige Landschaft blicken. Am Abend sitzt González gerne dort und schaut zu, wie das Licht erst ganz warm wird und dann golden, bevor die Nacht hereinbricht. «Hier habe ich gelernt, was es heisst, organisiert zu sein. Und ich habe gelernt, keine schwitzenden Hände mehr zu bekommen, wenn mich jemand anspricht. Im Gegenteil, ich glaube, ich rede heute zu viel.»

Fairer Kaffee: Der Preis der Bohne

Kaffee – nach Erdöl der weltweit umsatzstärks­te Rohstoff – wird vor allem an den Börsen in London und New York gehandelt. Sein Preis ist enormen Schwankungen unterworfen: Zu bes­ten Zeiten kosteten 100 US-Pfund (45,4 Kilogramm) über 300 US-Dollar, in der Kaffeekrise Anfang des vergangenen Jahrzehnts sank der Preis auf 40 Dollar. 2011 ist ein gutes Jahr für die ProduzentInnen: Die weltweite Nachfrage ist grösser als das Angebot, der Preis pro 100 Pfund liegt stabil bei rund 250 Dollar.

Fair-Trade-Verträge sichern Produzent­Innen gegen Preisverfall ab. Die Einkäufer­Innen garantieren einen Mindestpreis, der deutlich über den Produktionskosten liegt. Derzeit sind 140 Dollar pro 100 Pfund üblich. Die KäuferInnen garantieren Abnahmemengen und bezahlen einen Teil der Ware im Voraus, sodass die ProduzentInnen ohne Kredite wirtschaften können. Steigt der Preis an den Börsen über den vereinbarten Mindestpreis, bezahlen Fair-Trade-Organisationen diesen höheren Weltmarktpreis.

Die Absicherung gegen Preisverfall ist nicht umsonst. Die ProduzentInnen müssen sich zur Einhaltung sozialer Mindeststandards verpflichten. Dazu gehören üblicherweise das Verbot von Kinderarbeit und der Unterhalt von Schulen und Gesundheitszentren. In der Regel müssen 10 US-Dollar pro 100 Pfund für solche sozialen Aufgaben verwendet werden, weitere 5 Dollar für die Aus- und Weiterbildung der ProduzentInnen. Die Einhaltung dieser Standards wird regelmässig überprüft.



* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 6. Oktober 2011


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