Mit Ziegen gegen den Machismo
Das Frauenzentrum Xochilt Acalt trägt in Nicaragua seit 20 Jahren zur Verbesserung der Lebensbedingungen bei *
Nicaragua gehört zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas - besonders in den ländlichen Regionen lebt der Großteil der Bevölkerung in Armut. Das Frauenzentrum Xochilt Acalt (»Blume des Zuckerrohrs«) trägt seit 20 Jahren erfolgreich zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Familien im Landkreis Malpaisillo bei. Darüber sprach Anna Schulte for das "neue deutschland" (nd) mit Amada Mendoza Morales (l. 39 Jahre) und Lydia Mendoza Murillo (r. 50 Jahre).
nd: Was macht das Leben in Malpaisillo so beschwerlich und welche Art von Hilfe erfahren die Kleinbauern und -bäuerinnen von der Regierung?
Lydia Mendoza Murillo: Die Familien im Landkreis sind sehr arm, viele arbeiten für einen Hungerlohn auf den Feldern der Großgrundbesitzer. Für mich liegt das Hauptproblem im mangelnden Zu-gang zu Bildung. Es gibt nicht genug Schulen, sie sind in einem sehr schlechten Zustand und schwer zu erreichen. Dazu kommt natürlich die Arbeitslosigkeit. Manche Menschen arbeiten in einer der großen Textilfabriken aus dem Ausland, die in Nicaragua produzieren lassen. Wieder andere sind gezwungen auszuwandern, um ihren Familien Geld zu schicken.
Die seit 2007 amtierende Regierung von Daniel Ortega steht im Ruf, die ländliche Entwicklung zu fördern. Ist der Ruf berechtigt?
Lydia Mendoza Murillo: Ich finde nicht, dass sich an unserer schwierigen Situation unter Daniel Ortega wirklich viel verändert hat. Ehrlich gesagt habe ich noch keine Regierung erlebt, die sich wirklich ernsthaft für die Situation der Landbevölkerung interessierte.
Xochilt Acalt setzt sich schon seit vielen Jahren für bessere Lebensbedingungen der Familien ihres Landkreises ein. Welchen Ansatz verfolgt die Organisation dabei?
Lydia Mendoza Murillo: Unser Ansatz ist sehr ganzheitlich und orientiert sich an den Bedürfnissen der Frauen. Anfangs leistete Xochilt Acalt gynäkologische Versorgung. Aber dann sahen wir, dass Frauen ökonomisch unabhängig werden mussten. Und weil bei den Fortbildungen über Gemüseanbau oder Tierhaltung natürlich mitgeschrieben werden musste, begannen wir damit, Frauen beim Schulbesuch zu unterstützen. Hauptziel ist es, dass sich die Familien der Region langfristig selbst gesund ernähren können und unabhängig werden von externer Hilfe. Darum wirtschaften wir auch ökologisch und nicht konventionell und beziehen die Jugend stark mit ein.
Amada Mendoza Morales: Viele Frauen können dank Xochilt Acalt eigenes Land erwerben. Außerdem hilft die Organisation Mädchen und Frauen mit Stipendien beim Schul- oder Universitätsbesuch. Ich selbst habe mit 30 Jahren meine Grundschule nachgeholt. Heute bin ich 39 Jahre alt und gehe neben der Arbeit zur Oberschule.
Wie viele Menschen unterstützt Xochilt Acalt momentan?
Amada Mendoza Morales: Im Landkreis Malpaisillo leben ungefähr 30 000 Menschen. 3000 von ihnen profitieren direkt von unserer Arbeit. Ein wichtiger Teil ist dabei das Netz der Promotorinnen. Über 100 Frauen engagieren sich ehrenamtlich und geben ihr Wissen weiter.
Und wovon hängt es ab, ob eine Frau direkte Unterstützung von Xochilt Acalt bekommt?
Amada Mendoza Morales: Generell kann man sagen, dass die Unterstützung durch Xochilt Acalt vor allem vom Engagement und Willen der Frau abhängt. Der erste Schritt ist allerdings immer die Teilnahme am Kurs, in dem wir über die Geschlechterrollen sprechen. Es ist uns sehr wichtig, dass die Frau, wenn sie Land oder Tiere von uns bekommt, damit selbstbewusst und autonom umgehen kann. Weil in unserer Kultur so fest verankert ist, dass eine Frau nur Anhängsel des Mannes ist, müssen wir zuerst unser Selbstbild verändern.
Und nach so einem Kurs bekommen die Frauen dann Ziegen und Schafe?
Lydia Mendoza Murillo: Erst folgen Schulungen über Ackerbau und Tierhaltung. Wenn die Frauen das nötige Wissen erworben haben, bekommen sie Land und Saatgut. Später erhalten sie zwei Schafe und zwei Ziegen und bewirtschaften eigenständig ihren kleinen Betrieb. Nach zwei Jahren, wenn die Frauen schon mehrere Tiere züchten konnten, geben sie je zwei junge Schafe und Ziegen zurück, damit wieder eine andere Frau mit der Tierzucht beginnen kann. Es ist immer das gleiche Prinzip: Erst die Ausbildung, dann die Praxis - darin unterstützen wir uns gegenseitig und bilden uns immer weiter fort.
Wie reagieren die Männer, wenn sich die Frauen engagieren und eigenständig werden?
Lydia Mendoza Murillo: Anfangs haben die Männer oft sehr negativ reagiert. Sie wollten die Kontrolle haben - oft sogar über das Leben und Handeln der Frau. Ich glaube, dass die Männer nun langsam merken, dass wir nicht gegen die Männer arbeiten sondern für gleichberechtigte Partnerschaften.
Amada Mendoza Morales: Seit zwei Jahren gibt es auch Gruppen, in denen Frauen und Männer gemeinsam zum Thema der Geschlechtergleichheit arbeiten. Es sind kleine Schritte, aber immerhin.
Oft üben Männer in Nicaragua ihre Macht körperlich aus. Jede dritte Frau gibt an, schon einmal Opfer von physischer oder sexueller Gewalt geworden zu sein. Inwiefern versucht Xochilt Acalt diese Situation zu verändern?
Amada Mendoza Morales: Wenn Frauen Gewalt erfahren, werden sie bei uns durch eine Psychologin und eine Anwältin unterstützt. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass die Arbeit von Xochilt Acalt viel dazu beiträgt, die Situation grundsätzlich zu ändern. Wir Frauen von Xochilt Acalt haben einfach ein anderes Selbstwertgefühl und können uns schon allein deshalb ganz anders verhalten, weil wir finanziell nicht von unseren Partnern abhängig sind. Dieses neue Frauenbild gebe ich auch an meine Kinder weiter.
* Aus: neues deutschland, 15. November 2011
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