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Bildung bis 2009

Kampagne gegen Analphabetismus in Nicaragua. Große Armut hemmt Initiative der Regierung

Von José Adán Silva, Managua (IPS) *

In Nicaragua hat die Regierung eines ihrer wichtigsten Bildungsprojekte gestartet: ein Programm für Erwachsene, das den mittelamerikanischen Staat bis 2009 vom Analphabetismus befreien soll. Die Initiative zielt auf die gesamte Bevölkerung über 15 Jahren ab. Derzeit gelten 24 Prozent der 5,1 Millionen Nicaraguaner als schreib- und leseunkundig. Mit dem Vorhaben legt die sandinistische Regierung ihren legendären Alphabetisierungskreuzzug »Cruzada« aus dem Jahr 1980 neu auf, als sie mehr als 100000 junge Lehrer ins gesamte Land geschickt hatte.

»Damals konnten 50 bis 60 Prozent der drei Millionen Einwohner nicht lesen und schreiben. Den Sandinisten ist es gelungen, ihren Anteil auf 12,9 Prozent zu senken«, sagt Bildungsminister Miguel de Castilla, der Leiter des aktuellen Programms, rückblickend. Dem neuen Vorhaben liegt die kubanische Alphabetisierungsmethode »Yo Sí Puedo« (Ja, ich kann) zugrunde. Orlando Pineda, Direktor der Nichtregierungsorganisation »Asociacíon de Educacíon Popular Carlos Fonseca Amador« und Regierungsberater, erklärt das Konzept: »Jedem Buchstaben entspricht eine Zahl.« So würden die Schüler langsam an das Alphabet herangeführt. Oft helfe es auch, daß Buchstaben und Zahlen mit gebräuchlichen Begriffen aus dem Haushalt in Verbindung gebracht werden. Die 65 jeweils halbstündigen Lektionen gelten als bestanden, wenn die Teilnehmer selbst einen Brief verfassen können. Venezuela und Kuba unterstützen das Programm finanziell sowie mit Unterrichtsmaterialien und Lehrern.

Pineda hat die kubanische Methode bereits 2005 in Nicaragua eingeführt und war von den Erfolgen überrascht. »Mit den konvetionellen Methoden, die über acht bis zehn Monaten dauerten, haben sich die Leute gelangweilt. Jetzt haben sie mit einer halben Stunde täglich in acht oder zehn Wochen mehr Erfolg.« Mehr als 125000 Menschen haben laut Pineda so seit 2005 den Weg aus dem Analphabetentum gefunden. Das neue Programm gehört dabei nicht einmal zur nationale Kampagne zur Umsetzung der Entwicklungsziele, auf die sich die Vereinten Nationen auf dem Millenniumsgipfel im Jahr 2000 geeinigt haben. Diese sehen bis 2015 die Halbierung von Armut und Hunger vor; ferner Grundschulbildung für alle, die Gleichstellung der Geschlechter, die Senkung der Kinder- und Müttersterblichkeit, die Bekämpfung schwerer Krankheiten wie HIV/AIDS und Malaria, die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit und den Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft zwischen den Ländern des Nordens und des Südens.

Das Ziel der Grundschulbildung verfolgt die Regierung in Managua mit anderen Projekten. So wird den Familien wieder kostenloser Unterricht angeboten – keine Selbstverständlichkeit in dem mittelamerikanischen Land, das Jahre der neoliberalen Politik hinter sich hat. Auch soll mehr in die Bildung investiert werden.

Juan Bautista Arríen, der lokale Vertreter der UN-Kulturorganisation UNESCO, bezweifelt jedoch, daß Nicaragua mit seinen Plänen zur Grundschulbildung Erfolg haben wird. »Die Alphabetisierung wird zwar helfen, mehr Kinder in die Volksschulen zu bringen.« Aber Fortschritte seien auch an anderer Stelle notwendig, sagt Arríen. Aus sozialen Gründen arbeiteten mehr als 300000 Minderjährige auf der Straße und gingen nicht zu Schule. Nach Angaben des Bildungsministeriums sind offiziell 950000 Grundschüler bzw. 85,8 Prozent aller schulpflichtigen Kinder bei den Schulen gemeldet. Von ihnen aber kommen 136000 bzw. 14,2 Prozent nicht zum Unterricht. Arríen kritisiert auch, daß nur 40 von 100 Schülern die sechste Klasse abschließen. Seiner Ansicht nach muß das Bildungsbudget von 17 Millionen US-Dollar wenigstens verdoppelt werden, wenn denn das Millenniumsziel zur Grundschulbildung hinreichend umgesetzt werden soll.

Nach UN-Angaben sind 46,2 Prozent der nicaraguanischen Bevölkerung arm. Arme besuchen in dem zentralamerikanischen Land die Schule im Durchschnitt für 2,2 Jahre.

* Aus: junge Welt, 9. August 2007


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