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Proteste nach Wahlausschlüssen in Nicaragua

Wahlrat verbietet Konservativer Partei und Reformsandinisten der MRS Teilnahme an kommenden Abstimmungen

Von Torge Löding *

Die politischen Wellen schlagen hoch in Nicaragua, seitdem der Oberste Wahlrat des Landes vor wenigen Wochen beschlossen hat, zwei derzeit im Parlament vertretene Parteien von der Teilnahme an den Kommunalwahlen im November und den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2011 auszuschließen. Betroffen ist neben der Konservativen Partei (PC) auch die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS), die sich 1995 als sozialdemokratische Gruppierung von der regierenden Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) abgespalten hatte. Sowohl PC als auch MRS hätten gegen die eigenen Statute verstoßen, hieß es vom Wahlrat zur Begründung. So hätten etwa auf den MRS-Listen zur Kommunalwahl auch Funktionsträger der Partei kandidiert, was in der Satzung nicht vorgesehen sei.

Auf einer Großdemonstration in Managua brachten am 27. Juni auch zahlreiche Sandinisten ihre Ablehnung des damit begründeten Wahlausschlusses zum Ausdruck. Unter den Protestteilnehmern befanden sich der Liedermacher Carlos Mejía Godoy und die Exkommandantin der FSLN, Mónica Baltodrano. Sie vertritt im Parlament heute die linke »Rettungsbewegung des Sandinismus« (Rescate Sandinista), die sich innerhalb der MRS-Liste gebildet hat. Ebenfalls anwesend war die ehemalige Befehlshaberin der sandinistischen Befreiungsarmee, Dora María Téllez.

Die bisher größte Demonstration richtete sich zugleich gegen die Regierung von Präsident Daniel Ortega und die von ihm geführte FSLN. Die Kritik ist dabei alles andere als einhellig. Den Konservativen ist vor allem die Partnerschaft Nicaraguas mit Venezuela ein Dorn im Auge. Derzeit übertreffen dessen Hilfszahlungen an Nicaragua deutlich jene aus der EU. Ortega unterstützt auf internationalem Parkett Hugo Chávez und das Regionalbündnis Bolivarische Alternative für Amerika (ALBA). Gleichzeitig ist Nicaragua als einziger ALBA-Staat auch Mitglied im neoliberalen und von den USA dominierten Zentralamerikanischen Freihandelsabkommen (CAFTA). Auf Unverständnis traf bei den Demonstranten aber auch Ortegas Pakt mit dem wegen Korruption verurteilten liberalen Expräsidenten Arnoldo Alemán (PLC) sowie dem einstigen Anhänger des Diktators Somoza, Jaime Morales Carrazo. Der ehemalige Contra-Kommandant ist heute Vizepräsident unter Ortega.

Bei aller Unzufriedenheit mit der eigenen Parteiführung ist die sozialdemokratische MRS für viele Sandinisten indes nur sehr begrenzt attraktiv. MRS-Mann und Exkommandant Luis Carrión fordert etwa die Bildung einer »großen Front« gegen die FSLN, gemeinsam mit Politikern und Wirtschaftsvertretern, die aus dem Dunstkreis der Somoza-Diktatur stammen. Auf der Protestveranstaltung in Managua hatten junge Redner der Allianz aus Konservativen und Reformsandinisten eine »neue Revolution für demokratische Rechte, Brot und soziale Gerechtigkeit« gefordert.

* Der Autor arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica

Aus: junge Welt, 14. Juli 2008



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