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Agrosprit auf Kosten des Südens

Carmen Rios und Camilo Navas über die Folgen für die Zuckerarbeiter in Nicaragua *


Traditionell exportiert Nicaragua Rohrzucker genauso wie Rum in die USA und nach Europa. In den letzten Jahren hat aber auch der Export von Ethanol merklich zugenommen. Doch beim Anbau des Zuckerrohrs verwenden die Unternehmen Pestizide in derart hohen Konzentrationen, dass immer mehr Arbeiter erkranken. Carmen Rios und Camilo Navas von der Geschädigten-Organisation ANAIRC (Asociación Nicaragüense de Afectados por Insuficiencia Renal Crónica) waren im April auf Informationsreise in Deutschland. Mit ihnen sprach füpr das "BNeue Deutschland" (ND) Knut Henkel.

ND: Was ist der Grund Ihres Besuches in Deutschland?

Camilo Navas: Wir sind hier, um auf die andere Seite des Bioethanols hinzuweisen. Die steigende Produktion von Bioethanol, welches in Nicaragua hergestellt, nach Europa exportiert und auch an deutsche Zapfsäulen getankt wird, ist für die Arbeiter ein ernstes Gesundheitsrisiko.

Unter welchen Bedingungen wird das aus dem Zuckerrohr gewonnene Ethanol denn hergestellt?

Camilo Navas: Es geht weniger um die Herstellung des Ethanols, sondern um die Bedingungen, unter denen die Menschen auf den Feldern der Zuckerfabrik San Antonio in Chichigalpa arbeiten. Die Region liegt im Norden Nicaraguas, nahe der Grenze zu Honduras, und das Unternehmen setzt in großem Stil Pestizide ein. Etliche Tausend Arbeiter haben gesundheitliche Probleme und mehr als 5000 starben an Niereninsuffizienz, weil sie systematisch vergiftet wurden.

Sind die Eigentümer des Unternehmens aus Nicaragua oder handelt es sich um ausländische Investoren?

Camilo Navas: Nein, die Familie, die diese Zuckerfabrik und den Anbau auf den umliegenden Flächen betreibt, ist aus Nicaragua. Es handelt sich um die Familie Pella, die in der Region seit Jahrzehnten Zucker und Rum produziert und traditionell ein wichtiger Arbeitgeber ist. Seit 2007 wird Ethanol produziert, das in die USA und nach Europa verschifft wird.

Wie sind die Arbeitsbedingungen?

Carmen Rios: Ich habe nie in der Zuckerfabrik gearbeitet, aber mein Vater ist als junger Mann in die Region gekommen und hat dort Arbeit gefunden. Ich bin also mit dem Zuckerrohr aufgewachsen und unser Haus befand sich am Rande der Felder. Später habe ich einen der Zuckerarbeiter geheiratet, der wie alle anderen während der Ernte bis zu 18 Stunden arbeiten muss. Die läuft rund ein halbes Jahr und der Lohn beläuft sich auf rund 150 US-Dollar alle 14 Tage – Überstunden inklusive. In der Erntezeit schuften rund 7000 Arbeiter auf den Feldern, 3500 sind es danach. Das größte Problem ist jedoch die Kontaminierung der gesamten Region durch Pestizide – selbst das Grundwasser und viele Brunnen sind verseucht, so dass wir uns systematisch vergiften.

Wann haben die Arbeiter angefangen, sich zu wehren und wie haben die Ärzte reagiert, als die ersten Erkrankungsfälle aufgetreten sind?

Carmen Rios: Die ersten Proteste gab es Mitte der 90er Jahre. Da häuften sich die Erkrankungen und es kam der Verdacht auf, dass es etwas mit den Bedingungen zu tun haben könnte. Die Ärzte verwiesen aber auf Infektionen als Erkrankungsursache. Uns waren also die Hände gebunden. Wir, die Arbeiter und ihre Familien, leben direkt zwischen den Feldern, die sich auf rund 70 000 Hektar erstrecken und waren der Besprühung mit Pestiziden aus der Luft direkt ausgesetzt und sind es auch heute noch.

Die Pestizide wurden also wie im Bananenanbau von oben ausgebracht. Es gibt also eine Parallele zum Nemagon-Skandal der 80er Jahre, als Abertausende Erntearbeiter vergiftet wurden und zahlreiche behinderte Kinder zur Welt kamen?

Carmen Rios: Ja, die Parallele gibt es, nur ist das Krankheitsbild ein anderes. Die Zuckerarbeiter leiden unter Niereninsuffizienz und bisher sind 5341 Arbeiter an Nierenversagen gestorben.

Gibt es eine fundierte Studie, die einen Zusammenhang zwischen dem Tod der Arbeiter und dem Pestizideinsatz herstellt?

Carmen Rios: Ja, die gibt es und sie wurde von der Universität Boston erstellt und von der Familie Pella finanziert, nachdem wir den Druck erhöht hatten. Die Studie liefert viele Informationen über die eingesetzten Pestizide, die nahezu ausschließlich schwer toxisch sind: Paraquat, DBCP, Furadán oder Bromadiolone sind nur einige der Substanzen, die ausgebracht wurden. Allerdings fehlt es an detaillierten Studien mit den erkrankten Zuckerrohrarbeitern, die den kausalen Beweis liefern – die Wahrscheinlichkeit ist den Experten zufolge allerdings sehr hoch.

Wie hat die Regierung in Managua auf die Proteste ihrer Organisation, der nicaraguanischen Vereinigung der Betroffenen von chronischer Niereninsuffizienz, ANAIRC, reagiert?

Carmen Rios: Wir haben zahlreiche Märsche nach Managua organisiert. Im Jahr 2003 erhielten daraufhin rund 1300 Arbeiter eine Hilfsleistung, bei 6500 weiteren ist die Erkrankung nun als Arbeitsfolge anerkannt, wodurch sie immerhin einen Pensionsanspruch haben. Unser Ziel ist es aber, ein eigenes Entschädigungsgesetz durchzusetzen.

Welche Bedeutung hat die Europareise?

Carmen Rios: Wir setzen uns für den völligen Verzicht auf chemische Pestizide ein, möchten, dass sich die Importeure von Bioethanol über die Konsequenzen ihre Einkaufspolitik klar werden und fordern sie auf, sich nach Alternativen umzuschauen. Zudem erhoffen wir uns, dass Druck auf die Pellas-Gruppe ausgeübt wird, damit wir endlich zu einer Verhandlungslösung kommen.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Mai 2011


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