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"Vergesst niemals eure Ideale!"

Zehntausende feierten in Managua den 30. Jahrestag der sandinistischen Revolution

Von Torge Löding, Managua *

Internationale Prominenz fehlte auf dem Podium bei der Feier zum 30. Jahrestag der sandinistischen Revolution in Nicaraguas Hauptstadt. Aber Vieles, was gesagt wurde, ist brisant.

Patricia Rodas, Außenministerin von Honduras' legitimem Präsidenten Manuel Zelaya, rief den Zehntausenden auf dem ehemaligen »Platz der Revolution« (heute »Platz des Glaubens«) am Sonntag (19. Juli) zu: »Heute wendet sich die Zeit der Putschisten. Noch bevor dieser Tag endet, beginnt unser endgültiger Marsch auf Honduras. Wir werden von allen Seiten über die Grenze kommen, begleitet von unseren Brudervölkern.«

Gastgeber Präsident Daniel Ortega von der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) machte in seiner fast 80-minütigen Rede klar, dass damit keine militärische Intervention gemeint sei: »Wir wollen eine friedliche Lösung ohne Blutbad.« Die honduranischen Soldaten forderte er auf, sich ihrer Herkunft aus armen Familien zu erinnern und Putschpräsident Roberto Micheletti die Gefolgschaft zu verweigern.

Kritisch bilanzierte Ortega die Rolle von US-Präsident Barack Obama. Dieser sage, er habe von dem Militärputsch in Honduras nichts gewusst. Aber es sei unglaubwürdig, dass ausgerechnet die US-Geheimdienste ihren Präsidenten davon nicht in Kenntnis gesetzt hätten. »Costa Ricas Präsident Óscar Arias erwartete Manuel Zelaya bereits bei dessen Ankunft am Flughafen«, sagte Ortega. Am Sonntag vor drei Wochen war Zelaya in den frühen Morgenstunden von Putschmilitärs aus seinem Amtssitz nach Costa Rica verschleppt worden. »Bestimmte Kreise in den USA haben Óscar Arias so positioniert, damit er als Vermittler auftreten kann. Er ist ein alter Vertrauter und verlässlicher Vertreter von US-Interessen«, meinte Ortega weiter.

Nicaraguas Präsident stellte aber auch klar: Er sei davon überzeugt, dass die Masse der USA-Bevölkerung die Militärputsche ablehne, in die ihre Regierung seit Jahrzehnten verstrickt sei.

In ihren Reden bezogen sich die Politiker auf die Erfahrungen mit Militärputschen und Diktaturen in Lateinamerika in den vergangenen 100 Jahren. »Die Völker dieses Kontinentes haben eine lange Tradition des Widerstands. Nur Einheit, Frieden und Integration werden uns in diesen schwierigen Zeiten zum Sieg führen«, sagte Kubas Vizepräsident Esteban Lazo. Zustimmung bekam er dafür von Rigoberta Menchú, die als Vertreterin der indigenen Völker Guatemalas auf der Veranstaltung sprach. Die Friedensnobelpreisträgerin rief die Menschen auf, gegen Rassismus und die Zerstörung der Erde zu streiten: »In Guatemala werden die Rechte der indigenen Bevölkerung jeden Tag verletzt, gegen ihren Willen werden Goldminen in ihre heiligen Berge getrieben. Ich bin Maya und darauf bin ich stolz.« Eine besondere Rolle im Kampf für die Gesundheit von »Mutter Erde« komme der Jugend zu. »Leider gibt es viele Länder, in denen die Jugend keine Ideale hat. Hier in Nicaragua ist das anders. Ich sehe hier auf dem Platz sehr viele junge Menschen und ich sehe, sie haben Hoffnung. Vergesst niemals eure Ideale!«, rief Menchú.

Vor 30 Jahren besiegte die sandinistische Volksbewegung mit Unterstützung einer internationalen Solidaritätsbewegung die jahrzehntelange Diktatur des Somoza-Clans. Von 1979 bis 1990 versuchte das sandinistische Nicaragua eine soziale Transformation, die Menschen in Ost und West begeisterte. Die USA finanzierten einen schmutzigen Krieg dagegen. Im Jahr 1990 gewann das neoliberale Bündnis UNO die Wahlen und machte sich an den Abbau der sozialen Errungenschaften.

Anfang 2007 trat wieder Daniel Ortega das Präsidentenamt an mit dem Versprechen, die Revolution fortzuführen. Doch die FSLN von heute ist eine andere als damals, was der Politiker in seiner Rede am Sonntag klar machte. Während er früher marxistischen Ideen nahestand, sagte er nun: »Christentum und Sozialismus sind die Werte, die einen Revolutionär ausmachen.«

* Aus: Neues Deutschland, 21. Juli 2009


Ortegas Warnung

Nicaragua: Feiern zum 30. Jahrestag der sandinistischen Revolution. Vermutungen über Errichtung von US-Basen

Von Torge Löding (Managua) **

Zehntausende schwenkten am Sonntag (19. Juli) die rot-schwarzen Fahnen der Sandinisten bei der offiziellen Feier zum 30. Jahrestag des sandinistischen Triumphs. Präsident Daniel Ortega von der seit 2007 wieder regierenden Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) erklärte die historische Bedeutung des 19. Juli 1979 und wies auf die Parallelen zur heutigen Situation hin, wo im Nachbarland Honduras reaktionäres Militär eine Volksbewegung unterdrückt.

Ortega vermutete, daß US-Präsident Barack Obama von dem Putsch in Honduras unterrichtet war. Bewiesen sei, daß reaktionäre Kreise aus dem Umfeld von Expräsident George W. Bush die Architekten des Staatsstreiches waren. In diesem Zusammenhang stände die – nicht bestätigte –Nachricht, daß die USA fünf neue Militarbasen in Kolumbien, davon mindestens zwei im Grenzgebiet mit Venezuela, errichten wollen. Internationale Prominenz fehlte indes auf dem Podium. Die Regierungen der ALBA-Staaten hatten zwar Vertreter geschickt, aber Hugo Chávez und Evo Morales ließen sich entschuldigen. Damit war kein Staatschef aus dem Ausland vertreten.

»Die US-Militärbasen sind eine Bedrohung der Sicherheit aller Völker Lateinamerikas und nicht nur eine Mißachtung der Souveränität Kolumbiens, sondern der gesamten Region«, sagte Ortega. Die USA seien das einzige Land der Welt, das Militärbasen im Ausland errichte. Statt dessen sollten sie Schulen, Wohnungen und Krankenhäuser bauen. Von US-Präsident Obama erwarte er, daß er sein Versprechen eines respektvollen Umgangs mit Lateinamerika in die Tat umsetze.

Der antiimperialistische Widerstand gegen die Besetzer aus dem Norden und der von ihnen ausgebildeten nicaraguanischen Nationalgarde begann, nachdem die USA 1909 den liberalen Präsidenten José Zelaya zum Rücktritt gezwungen hatte. »Der Präsident Zelaya von hundert Jahren könnte ein Verwandter des mutigen honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya von heute sein«, sagte Ortega. Im Jahr 1912 entsandten die USA dann Kanonenboote und Marinesoldaten, die durchgehend – abgesehen von einer kurzen Pause 1926 bis 1933 –stationiert blieben, um den Hegemonieanspruch des Imperiums durchzusetzen. In die Knie gezwungen hatte die mächtigen Invasoren ein kleiner Mann aus den Bergen mit seiner Guerillaarmee – Augusto Sandino. Bereits ein Jahr später wurde er von Anastasio Somoza, dem Kommandanten der Nationalgarde, während Friedensverhandlungen in eine Falle gelockt und ermordet.

»Sandino und alle anderen gefallen Freiheitskämpfer sind heute unter uns!«, rief Ortega aus. Er inspirierte in den fünfziger und sechziger Jahren die nächste Generation der Befreiungsbewegung wie den Landarbeitersohn Carlos Fonseca, Mitgründer der FSLN 1961. Die »Frente« wurde zum Sammelbecken von Aktivisten mit unterschiedlichen politischen Hintergründen und vertrieb den Diktator schließlich am 19. Juli 1979. Die zentralen Programmpunkte, an deren Verwirklichung die Revolutionsregierung zwischen 1979 und 1990 arbeitete, waren die Alphabetisierung, eine Gesundheitsversorgung für alle, eine Landreform und der Aufbau einer Armee, die die Revolution und die demokratischen Rechte verteidigt – Errungenschaften, die nach der Abwahl 1990 weitgehend wieder abgeschafft wurden und die seit 2007, als die FSLN erneut die Regierung übernahm, wiederhergestellt werden sollen. Auf der Jubiläumsfeier am Sonntag bilanzierte Präsidentengattin Rosario Murillo entsprechende Ergebnisse.

Daniel Ortega war einer von neun Comandantes der FSLN. Auf der Veranstaltung in Managua saß mit Tomas Borge nur ein weiterer der ehemaligen Revolutionsführer auf der Bühne. Die sandinistische Familie ist heute zerstritten, die anderen Comandantes haben sich entweder aus der Politik zurückgezogen oder sich von der Frente getrennt. Bereits am Freitag hatte die kleine, linke Strömung zur »Rettung des Sandinismus« (Rescate) um die Parlamentsabgeordnete Mónica Baltodano und Henry Ruiz den dreißigsten Jahrestag der Revolution mit einer kleinen Veranstaltung in Managua gewürdigt. Die sozialdemokratischen Erneuerungssandinisten (MRS) versammelten unterdessen am Samstag knapp 300 vor allem junge Mitstreiter auf einer Konferenz in der Hauptstadt.

** Aus: junge Welt, 21. Juli 2009


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