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Noch keine Spur

Nigeria: Militärs und Experten aus USA, Großbritannien, Frankreich und Israel suchen nach entführten Mädchen

Von Knut Mellenthin *

Bei der Suche nach mehr als 200 Schülerinnen, die vor einem Monat in Nigeria von Islamisten entführt wurden, gibt es trotz starker internationaler Beteiligung keine Fortschritte. Bewaffnete Mitglieder einer Gruppe, die unter dem Namen Boko Haram bekannt ist, hatten ungefähr 300 Mädchen im Alter von 16 bis 18 Jahren in der Nacht zum 15. April in ihre Gewalt gebracht. Mehr als 50 der verschleppten Schülerinnen konnten später fliehen. Wie viele Mädchen tatsächlich noch in der Hand der Entführer sind, ist nicht genau bekannt. Die oft in den Medien kolportierte Zahl 276 ist nur ein Phantasieprodukt. Die von Prominenten in aller Welt unterstützte Kampagne »Bring back our girls« operiert mit dieser Zahl, die inzwischen auch häufig auf Werbe-T-Shirts erscheint.

Am Montag wurde ein Video veröffentlicht, in dem etwa 100 bis 130 der verschleppten Mädchen zu sehen sind. Der Zeitpunkt, zu dem dieser Film gemacht wurde, ist jedoch nicht bekannt. Die Annahme liegt nahe, daß die Schülerinnen inzwischen in kleine Gruppen aufgeteilt wurden und an weit voneinander entfernten Orten, möglicherweise sogar in den Nachbarstaaten Kamerun oder Tschad, festgehalten werden. In dem Video tritt ein Sprecher auf, der behauptet, Boko-Haram-Führer Abubakar Shekau zu sein. Da es von ihm bisher keine Fotos oder Filmaufnahmen gab, ist diese Aussage nicht zu überprüfen.

Der Sprecher erklärt in dem Video, daß die Mädchen im Austausch gegen gefangene Gruppenmitglieder und deren Familienangehörige, die von nigerianischen Sicherheitskräften als Geiseln festgenommen wurden, freigelassen werden könnten. Darauf reagierten mehrere Regierungsmitglieder und -sprecher mit völlig gegensätzlichen Stellungnahmen. Inzwischen scheint jedoch die Ablehnung von Verhandlungen über diese Forderung die Oberhand gewonnen zu haben. Das entspricht auch dem öffentlich geäußerten Verlangen der USA, die einen starken Einfluß auf Politik und Wirtschaft Nigerias haben.

Die nigerianische Regierung hatte zunächst rund zwei Wochen lang gezögert, bevor sie dem Drängen mehrerer westlicher Staaten, sich in die Suche nach den Entführern und ihren Opfern einzuschalten, nachgab. Inzwischen sind Militärs, Polizisten und allerlei Experten aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Israel in der Hauptstadt Abuja eingetroffen. Am größten ist vermutlich das Team aus den Vereinigten Staaten. Es soll aus 27 Personen bestehen, unter denen sich nach Angaben des Weißen Hauses zehn »Planer und Berater« des Pentagon, fünf Mitarbeiter des Außenministeriums, vier Experten der Bundespolizei FBI und sieben Offiziere der Stuttgarter Kommandozentrale der US-Streitkräfte für Afrika befinden. Neben bemannten Aufklärungsflugzeugen wollen die USA demnächst vielleicht auch Drohnen für die Suche nach den verschleppten Mädchen nutzen. Ein Stützpunkt für den Einsatz unbemannter Flugkörper befindet sich ohnehin schon in Niger, das im Norden an Nigeria grenzt.

Mehrere namentlich genannte Funktionäre der US-Administration haben der nigerianischen Regierung öffentlich vorgeworfen, bei der rechtzeitigen Organisierung der Suche nach den Mädchen und generell bei der Bekämpfung von Boko Haram versagt zu haben. Zugleich kritisierten sie die häufigen Menschenrechtsverletzungen durch die nigerianische Armee. Ein Gesetz aus dem Jahre 1997 verbietet den USA die Zusammenarbeit mit militärischen Kräften, die für solche Praktiken bekannt sind. Das hat das Pentagon allerdings in der Vergangenheit nicht gehindert, auf militärischem Gebiet kontinuierlich mit Nigeria zusammenzuarbeiten, einschließlich der Ausbildung seiner Streitkräfte.

* Aus: junge Welt, Samstag, 17. Mai 2014


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