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Ein Gebirge menschlichen Leids

Terror von Boko Haram greift immer öfter auf Nordkamerun über

Von Christa Schaffmann *

Die Bastion der radikalislamischen Terrorsekte Boko Haram ist der Nordosten Nigerias. Östlich davon liegt Kamerun und das Nachbarland bekommt Boko Haram mehr und mehr zu spüren.

Es ist ein punktueller Erfolg: Sicherheitskräfte aus Kamerun konnten die meisten der vor Wochenfrist in Nordnigeria entführten jungen Männer befreien. Dabei hätten sie mehrere der Boko Haram-Kämpfer getötet, verlautet aus Nigeria.

Keine Frage: Das Problem Boko Haram hat Kamerun erreicht. In diesem Monat haben Kämpfer der Boko Haram in Kamerun bereits zehn Menschen getötet. Erst Ende Juli waren im äußersten Norden Kameruns 15 Menschen von der Sekte ermordet und ein Dutzend weitere entführt worden, darunter die Frau des stellvertretenden Premierministers und der Bürgermeister der Stadt Kolofata. Seit im Februar 2013 Boko Haram in Kamerun eine französische Familie entführte, mehren sich die Angriffe der zuvor hauptsächlich in Nigeria agierenden islamistischen Gruppierung im Norden des Nachbarlandes.

Die Verunsicherung und Angst der Bevölkerung in der Region wachsen. Europäer haben angesichts bewaffneter Überfälle mit zum Teil tödlichem Ausgang, Entführungen und Diebstählen die Region verlassen. Betroffen ist in dieser Situation auch die Entwicklungszusammenarbeit, unter anderem der Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft e.V. (DAFRIG), die im Norden Kameruns zusammen mit lokalen Partnern kleinere Projekte zur schulischen und weiteren Ausbildung von Mädchen und Frauen realisiert.

Ganava Baldina ist Deutschlehrer in einem der Projekte. »Wenn man sich umsieht und dazu die Nachrichten in Funk und Fernsehen verfolgt, erhebt sich ein Gebirge menschlichen Leids – Leid im Angesicht der Toten, Leid durch Vertreibung und Flucht, Vergewaltigung und Plünderung, Hunger und Not.« Immer mehr Menschen hätten Angst, ihrer Arbeit auf dem Feld nachzugehen, Schüler fürchteten den Schulweg, Gläubige den Gang zu ihren Kultstätten. Für eine Analyse der Ursachen müsse man weit in die Geschichte zurückgehen. Bereits die Kolonisatoren hätten den Norden sträflich vernachlässigt. Spätere Regierungen des unabhängigen Kamerun seien ihrem Beispiel gefolgt. »Die Bevölkerung wurde unterdrückt; Investitionen in Infrastruktur und Entwicklung fanden nicht statt.« So sei eine hoffnungslose junge Generation herangewachsen, die nun von den Islamisten mit dem Versprechen einer Zukunft in Wohlstand umworben werde. Die Lösung des Konflikts sieht Baldina daher auch nicht im militärischen Eingreifen, sondern in der Entwicklung der Region durch partnerschaftliche Zusammenarbeit.

Mit dieser Auffassung ist er nicht allein. »Die gegenwärtigen Krisen und Konflikte verweisen auf einen engen Zusammenhang zwischen staatlicher Unordnung, Staatszerfall und sozialen politischen Konflikten«, schreibt Professor Robert Kappel vom GIGA-Institut. Er kritisiert das Herangehen der internationalen Gemeinschaft, die mechanistisch die Bekämpfung des Terrorismus als oberste Priorität betrachtet. Sie verkenne damit die Ursachen für immer wiederkehrende Unruhen, Jugendaufstände und politisch-religiöse Auseinandersetzungen.

Experten hatten bereits seit Jahren vor Unruhen gewarnt. So sollte es niemanden erstaunen, wenn fundamentalistische Gruppierungen nun in Ländern mit sehr hoher Jugendarbeitslosigkeit ein ideales Umfeld zur Rekrutierung von Nachwuchs vorfinden – nicht nur in Kamerun. Das im Sahel entstandene System von Gewalt und Gegengewalt ist nach Meinung Kappels durch militärisches Eingreifen allein nicht erfolgreich zu bekämpfen. Er plädiert für einen Masterplan der Sahelstaaten, die von Europa über einen langen Zeitraum unterstützt werden müssten. Es gelte, die Wirtschaft des Sahel nachhaltig zu stärken. »Denn einen ›Sieg über den Terrorismus‹ gibt es nur als Sieg über die Armut.« Auch die DAFRIG erklärt, dass es »in dieser kritischen Situation nicht nur damit getan ist, militärische Maßnahmen zu ergreifen, sondern dass es erforderlich ist, Entwicklungshebel einzusetzen, die dem Terrorismus nachhaltig den Boden entziehen«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 20. August 2014


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