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Täglicher Terror

Gleichzeitige Attacken auf mehrere Städte in Nigeria. "Boko Haram" ist Hauptthema im anlaufenden Wahlkampf, Präsident Jonathan unter Druck

Von Simon Loidl *

Seit Ende vergangener Woche überschlagen sich die Meldungen über Anschläge in Nigeria. Am Dienstag berichteten nigerianische Medien von Kämpfen in der Stadt Konduga, die in der Nacht zuvor von mutmaßlichen Mitgliedern der islamistischen Miliz »Boko Haram« attackiert worden sei. Laut der Zeitung Premium Times handelte es sich bereits um den fünften Angriff auf den Ort, der 35 Kilometer südöstlich von Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno, liegt. Nur wenige Stunden zuvor war es in Maiduguri selbst zu einem Anschlag auf einen Markt gekommen. Dabei sollen mindestens sechs Menschen getötet worden sein, darunter zwei Attentäterinnen. Der Markt war erst am Dienstag der Vorwoche Ziel einer Selbstmordattacke geworden, bei der fast 50 Menschen ums Leben kamen.

Fast gleichzeitig mit dem Attentat griffen Kämpfer Damaturu an. Die 130 Kilometer westlich von Maiduguri gelegene Hauptstadt des Bundesstaates Yobe wurde nach Berichten nigerianischer Medien von Gujba aus attackiert, das seit Monaten von »Boko Haram« kontrolliert wird. Die Zeitung ThisDay berichtete in ihrer Onlineausgabe von Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern mit Armee und Polizei. Dabei seien zahlreiche Islamisten und mehrere Angehörige der Sicherheitskräfte getötet worden. Der Gouverneur von Yobe, Ibrahim Gaidam, verhängte eine Ausgangssperre, die am Dienstag noch andauerte.

Die offenbar koordinierten Attacken zu Wochenbeginn folgten auf ein blutiges Wochenende. Aus mehreren Städten waren Schießereien gemeldet worden. Am Freitag war es in Kano zu einem Angriff auf eine Moschee gekommen. Bei mehreren Explosionen und durch Schusswaffen wurden Dutzende Menschen getötet - wie viele genau, ist immer noch unklar. Die Behörden sprachen zunächst von etwa 35 Opfern, Nachrichtenagenturen zitierten Augenzeugen, die von weit mehr als 100 Toten berichteten. Kommentatoren warfen den Behörden vor, die Opferzahl absichtlich zu niedrig anzugeben, um das Ausmaß des Versagens der Politik im Kampf gegen »Boko Haram« zu verschleiern. Der in Kano residierende Emir, einer der höchsten Geistlichen des Landes, hatte laut Medienberichten vor kurzem zum Kampf gegen »Boko Haram« aufgerufen.

Der Aufstand der islamistischen Organisation spielt eine zentrale Rolle im anlaufenden Wahlkampf. Im Februar wird in Nigeria über Parlament und Präsidentenamt abgestimmt. Der amtierende Staatschef Goodluck Jonathan, der sich erneut um das höchste Amt bewerben will, gerät dabei zunehmend unter Druck. Oppositionspolitiker, auch solche, die zuvor Jonathans People's Democratic Party angehört hatten, werfen ihm vor, keine Strategie bei der Bewältigung der Krise zu haben. Während der vergangenen Tage wurden in nigerianischen Medien Gerüchte über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Jonathan laut, das auf Initiative von mehr als 60 Senatoren noch in dieser Woche im Parlament eingebracht werden soll. Zwar berichtete ThisDay am Dienstag, dass es sich dabei um verfrühte Meldungen gehandelt haben dürfte, dennoch wirft die Angelegenheit ein Licht auf die angespannte innenpolitische Situation. Auch in der Bevölkerung wächst der Unmut. Nach dem Anschlag in Kano gab es Berichte über Attacken auf Sicherheitskräfte. Nigerianische Zeitungen zitierten Einwohner, die den Behörden vorwarfen, sie nicht ausreichend zu schützen.

Unterdessen soll die Zusammenarbeit zwischen der nigerianischen Armee und dem US-Militär zurückgeschraubt werden. Die Ausbildung durch US-Spezialkräfte wird laut einer Mitteilung der US-Botschaft in Abuja auf Wunsch der nigerianischen Regierung ausgesetzt. Andere Teile der »umfangreichen bilateralen Sicherheitsbeziehungen« würden jedoch weitergeführt werden. Gleichzeitig soll der Kampf gegen »Boko Haram« auf afrikanischer transnationaler Ebene intensiviert werden. Am Dienstag meldete die Internetplattform News24, dass laut dem Außenminister Kameruns, Pierre Moukoko Mbonjo, »binnen weniger Wochen« eine gemeinsame Einheit von 3.500 Soldaten aus Benin, Tschad, Kamerun, Niger und Nigeria einsatzbereit sein soll.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 3. Dezember 2014


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