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Töten und bitten

Nigeria: Ranghoher "Boko Haram"-Kämpfer festgenommen. Behörden fordern Unterstützung und Verständnis für Militäraktion

Von Simon Loidl *

Nigerianische Sicherheitskräfte haben nach eigenen Angaben Mohammed Zakari, eine der zentralen Figuren der islamistischen Gruppe »Boko Haram«, festgenommen. Polizeisprecher Frank Mba erklärte in einer Stellungnahme, Zakari, der sich angeblich selbst »Chefschlächter« nennt, sei bereits am vergangenen Wochenende im Zuge einer großangelegten Antiterroraktion von Armee und Polizei im Bundesstaat Bauchi verhaftet worden. Ihm wird die Teilnahme an Massakern sowie an Angriffen auf Einrichtungen der Behörden vorgeworfen. Die Polizei hofft nun, durch Verhöre neue Kenntnisse über »Boko Haram« zu bekommen. In dem Wald, in dem Zakari festgenommen worden war, wurden demnach auch zahlreiche Waffen, darunter Maschinengewehre und Raketenwerfer, sichergestellt. Nun soll der Antiterrorkampf verstärkt fortgesetzt werden. Die Behörden forderten die Bevölkerung auf, verdächtige Personen oder Aktivitäten zu melden. Gleichzeitig baten sie die Öffentlichkeit um Verständnis und Unterstützung für weitere Aktionen von Polizei und Militär. Die nigerianische Zeitung Punch zitierte einen Aufruf des Polizeioberkommandos, wonach der »Krieg gegen den Terror« zwar »erbarmungslos« sei, aber »mit der Unterstützung aller« gewonnen werden könne.

Letzteres wird allerdings immer schwieriger. Vor allem das nigerianische Militär hat in der Bevölkerung einen schlechten Ruf und wird fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen beschuldigt. Auch im Zuge der jüngsten Aktionen gegen »Boko Haram« hat es verschiedenen Meldungen zufolge erneut zivile Opfer gegeben. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch haben die Armee immer wieder kritisiert. Im Mai 2013 hatte Präsident Goodluck Jonathan in den drei Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa aufgrund der eskalierenden Gewalt durch »Boko Haram« den Notstand erklärt. Aus Zahlen, die von der University of Sussex veröffentlicht wurden, geht laut BBC nun hervor, daß in den zwölf Monaten vor Ausrufung des Notstands 741 zivile Todesopfer gemeldet wurden – in den zwölf Monaten danach wurden 2 265 Zivilisten im Zuge des »Antiterrorkampfes« getötet. Laut Amnesty International sollen allein bei einer Militäraktion nach einem Angriff der Islamisten in Maiduguri, der Hauptstadt von Borno, im März dieses Jahres 600 Menschen getötet worden sein.

Der Unmut in der Bevölkerung steigt aber nicht nur wegen der ständigen Eskalation der Gewalt, sondern auch wegen der Ineffizienz der Maßnahmen der Regierung. Nach wie vor ist keine Lösung im Fall der mehr als 200 entführten Mädchen in Sicht, die »Boko Haram«-Kämpfer im April in Chibok in ihre Gewalt gebracht hatten. Die Islamisten fordern die Freilassung von inhaftierten Mitgliedern ihrer Organisation und drohen, die Mädchen zu verkaufen. Am Montag war Malala Yousafzai zu Gast bei Präsident Jonathan. Die pakistanische Aktivistin, die 2012 von Taliban-Kämpfern schwer verletzt worden war, sagte im Anschluß, Jonathan habe ihr versprochen, daß die entführten Mädchen bald nach Hause kommen würden. Zugleich kritisierte Yousafzai, daß die nigerianische Regierung zu wenig Geld für Bildung ausgeben würde. Diese sei aber »die beste Waffe, mit der wir Armut, Unwissen und Terrorismus bekämpfen können«, so Yousafzai laut der britischen Tageszeitung Guardian. Ein nigerianischer Regierungssprecher wies die Vorwürfe zurück.

Unterdessen scheiterte ein Treffen zwischen dem Präsidenten Jonathan und den Eltern einiger der entführten Mädchen. Dieses war nach dem Besuch von Yousafzai vorgesehen, jedoch von den Betroffenen im letzten Moment abgesagt worden. In einem Statement warf Jonathan daraufhin Aktivisten der Kampagne »BringBackOurGirls« vor, die Entführung der Mädchen für ihre politischen Zwecke zu nutzen. Es habe den Anschein, daß der Kampf um die Rückkehr der Schülerinnen nicht nur ein Kampf gegen einen terroristischen Aufstand sei, »sondern auch einer gegen die politische Opposition«, zitierte die nigerianische Zeitung Vanguard den Präsidenten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 17. Juli 2014


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