Hochspannung in Nigeria
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Schatten der Gewalt
Von Martin Ling *
Die nigerianischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen finden heute (21. April) trotz der Turbulenzen bei den Regionalwahlen vor einer Woche statt. Als Favorit gilt Musa Yar'Adua, Wunschkandidat des seit 1999 amtierenden Präsidenten Olusegun Obasanjo, der selbst nicht mehr antreten darf.
Dem bobo – sie haben uns beschissen. Der Titel eines populären Songs von Femi Kuti beschreibt das Verhältnis der Nigerianer zu ihren Politikern nach wie vor am besten. 61,5 Millionen der 140 Millionen Nigerianer sind heute aufgerufen, bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abzugeben. Die meisten von ihnen machen sich keine Illusionen, dass die Wahlen an ihrer kargen Existenz etwas ändern. Trotz eines Schuldenerlasses in zweistelliger Milliardenhöhe – dem größten politischen Erfolg des scheidenden Präsidenten Olusegun Obasanjo – und üppigen Erdöleinnahmen leben rund zwei Drittel der Bevölkerung nach wie vor von weniger als einem Dollar pro Tag.
Nigerias Parteien sind traditionell Zweckbündnisse zur Umwandlung von Reichtum in politischen Einfluss und umgekehrt. Das meiste Geld im Lande ist in den Händen einer kleinen Elite konzentriert, die sich während der Militärdiktatur bereicherte, die von der Unabhängigkeit 1960 bis zur demokratischen Transition 1999 gerade mal in zehn Jahren von Zivilregierungen unterbrochen wurde.
Dass es nun zum ersten Mal eine reguläre Amtsübergabe von einem demokratisch gewählten Präsidenten auf den nächsten geben soll, kann Obasanjo als weiteren Erfolg für sich verbuchen. Auch im Kampf gegen die Korruption hat er Teilziele erreicht. Die 2004 von Obasanjo eingesetzte Kommission gegen Wirtschafts- und Finanzkriminalität (EFCC) hat hier und da einen Gouverneur oder Polizeichef entlassen und immerhin rund 3,8 Milliarden veruntreute Dollar wieder eingetrieben. Insgesamt bezifferte der Chef der EFCC die seit der Unabhängigkeit unterschlagene Summe auf rund 350 Milliarden Dollar Staatseinnahmen. Diese Fakten lieferten dem Afrobeatstar Femi Kuti die Munition für seinen Song Dem bobo.
Heute findet Korruption in Nigeria zumeist auf der Ebene der 36 Bundesstaaten statt, wo inzwischen die Hälfte der Staatsausgaben verwaltet wird. Zum Beispiel im Rivers-State, dem Zentrum der Ölindustrie. Dort sind die Zustände am schlimmsten. »Jeden Monat fließen 100 Millionen Dollar an den Gouverneur, ohne dass er in den letzten sechs Jahren auch nur einen Finanzbericht der Öffentlichkeit vorgelegt hätte«, schildert der Historiker und einstige Mitstreiter Ken Saro-Wiwas, Ben Naanen, dem ND die dortigen Zustände.
Wer künftig über die eine Hälfte der Staatsausgaben bestimmen darf, wurde bei den Regionalwahlen letzten Samstag geklärt. Dabei kamen nach nigerianischen Medienberichten bei Gewalttaten mindestens 50 Menschen ums Leben. Den offiziellen Ergebnissen zufolge hat die »Demokratische Volkspartei« (PDP) des noch bis Ende Mai amtierenden Präsidenten Olusegun Obasanjo 26 von 33 ausgezählten Gouverneursposten errungen. In den Bundesstaaten Enugu und Imo muss die Wahl wegen Unregelmäßigkeiten wiederholt werden, in einem Bundesstaat (Taraba) wird noch ausgezählt.
Die zweite Hälfte der Staatseinnahmen steht nun heute bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zur Disposition. Lange war es fraglich, ob dieser Termin überhaupt gehalten werden könnte. Die wichtigsten Oppositionsführer hatten sich erst am Donnerstag entschieden, die Wahl entgegen früheren Ankündigungen doch nicht zu boykottieren. Die Opposition hatte nach der Gouverneurswahl von massiven Manipulationen gesprochen und eine Verschiebung der Präsidentenwahl gefordert, zumal der Oppositionskandidat Atiku Abubakar erst Anfang der Woche überhaupt wieder zugelassen wurde. Der Vizepräsident war im März wegen Korruptionsvorwürfen ausgeschlossen worden, nachdem er daran mitgewirkt hatte, dass Obasanjo nicht ein drittes Mal antreten konnte.
Ausländische Beobachter zeigten sich angesichts der gewalttätigen Ausschreitungen und der Unregelmäßigkeiten bei der Gouverneurswahl besorgt. Der britische Sender BBC zitierte die EU-Beobachterin Graham Elson mit den Worten, es bestehe die Gefahr, dass es nach neuen Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl am Samstag wieder zu Gewaltausbrüchen komme.
Staatschef Olusegun Obasanjo hat am Vorabend der Präsidentenwahl Unregelmäßigkeiten bei der umstrittenen Gouverneurswahl vor einer Woche eingestanden. Nun komme es darauf an, aus diesen Fehlern zu lernen, um eine faire Abstimmung zu garantieren. Der von Obasanjo unterstützte muslimische Gouverneur Umaru Yar'Adua gilt als Favorit am Samstag, vor dem ehemaligen Militärdiktator (1984-85) Muhammadu Buhari und Atiku Abubakar. Befrieden, soviel ist sicher, werden die Wahlen das Pulverfass Nigeria nicht.
* Aus: Neues Deutschland, 21. April 2007
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