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Shell bleibt stur

Umweltverbände fordern von niederländischem Konzern Beseitigung von Schäden im westafrikanischen Niger-Delta

Von Christian Selz *

Das Elend, das der Fischzüchter Friday Akpan beschreibt, ist charakteristisch für das Niger-Delta. »Die Ölpest hat 47 Fischteiche in Mitleidenschaft gezogen, die Fische getötet und die Teiche nutzlos gemacht«, erzählte der 52jährige Familienvater der Nachrichtenagentur Reuters. Verantwortlich dafür, so hatte ein Gericht im niederländischen Den Haag bereits im Januar geurteilt, war die Shell Petroleum Development Company of Nigeria (SPDC), ein Tochterunternehmen des in den Niederlanden registrierten Erdölkonzerns. Akpan war der erste Betroffene, der in dem Verfahren ein Recht auf Entschädigung zugesprochen bekam. Doch er ist kein Einzelfall. 198 Öllecks sind an Shell-Infrastruktur in Afrikas größtem Sumpfgebiet allein im Jahr 2012 aufgetreten – und das sind nur die unternehmenseigenen Daten. Mindestens 26000 Barrel (4,1 Millionen Liter) des zähen, schwarzen Rohöls sind dabei ausgelaufen, auf Feldern und in Mangrovensümpfen versickert. Eine Kampagne des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Friends of the Earth Niederlande und der nigerianischen Environmental Rights Action fordert Shell nun zum Aufräumen auf.

»Vor zwei Jahren haben die Vereinten Nationen Shell und die Regierung Nigerias aufgefordert, Maßnahmen zur Säuberung der Region zu ergreifen. Passiert ist bisher nichts«, kritisiert die BUND-Referentin für internationale Klimapolitik, Inga Römer. Daß der Konzern dies ändern will, scheint derzeit weiterhin unwahrscheinlich. Selbst gegen das Haager Urteil vom Januar legte der Öl-Multi im Mai Berufung ein, obwohl das Mutterunternehmen darin bereits von jeglicher Verantwortung freigesprochen worden war. Was Umweltschützer damals als bahnbrechenden Richterspruch feierten, blieb so eine in ihrer Höhe undefinierte Aufforderung zur Entschädigung eines einzigen Betroffenen. Doch selbst die will Shell – sicher auch, um einen Präzedenzfall zu vermeiden – weiter anfechten. Das niederländische Gericht hätte mit dem Urteil gegen die nigerianische Tochtergesellschaft seinen Kompetenzbereich überschritten, argumentieren die Konzernanwälte. In Nigeria, dessen Justizsystem von Korruption durchzogen ist, braucht Shell ohnehin kaum Konsequenzen zu fürchten. 80 Prozent der Regierungseinnahmen stammen aus der Ölförderung.

Weil von den Milliardeneinnahmen allerdings nahezu nichts bei den rund 20 Millionen Bewohnern des Niger-Deltas ankommt, die zudem mit den Umweltschäden zu kämpfen haben, ist die Region seit Jahrzehnten äußerst instabil. Shell behauptet so beispielsweise, daß das Gros der Öllecks auf Sabotage und Diebstahl zurückzuführen ist. Tatsächlich verdienen mit den lokalen Machthabern und Militärs mal mehr und mal weniger vernetzte Gruppen an abgezapftem Öl. Gänzlich haltlos sind sicherlich auch die Vorwürfe nicht, einheimische Gangs würden absichtlich Lecks schlagen, um später an der – oberflächlichen – Beseitigung der Schäden, meist durch einfaches Abfackeln, zu verdienen. Der Konzern verschweigt dabei allerdings allzugern sein marodes Pipelinesystem und seine Mitschuld an den sozialen Mißständen in der Region. Hinzu kommt, daß ein nigerianisches Gesetz bereits seit 1984 das verschwenderische und umweltbelastende Abfackeln des bei der Ölförderung anfallenden Gases verbietet, aus dessen Abgasen Rohölflocken regnen. Die Konzerne sollen das Erdgas statt dessen nutzen oder zumindest auffangen. Umgesetzt wird das allerdings dank einer gegen die nötigen monetären Schmiermittel erhältlichen Ausnahmegenehmigung so gut wie nirgendwo.

Die Folgen sind brutal. »Die massiven Umweltschäden der Shell-Ölförderung in Nigeria wirken sich auf die Gesundheit der einheimischen Bevölkerung verheerend aus. Viele Dörfer haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser mehr«, berichtet Römer. Die Benzolbelastung von Brunnen übersteige den von der Weltgesundheitsorganisation gesetzten Grenzwert stellenweise um das Neunhundertfache. Mit ihren zu Wochenbeginn angelaufenen Internet-Protestaktionen fordern die Umweltverbände nun vom Shell-Konzern und vom nigerianischen Staat, schadhafte Förderanlagen zurückzubauen und noch laufende Anlagen regelmäßig zu warten. »Unternehmerisches Handeln« dürfe »nicht darin bestehen, daß sich große Ölkonzerne an den Ressourcen anderer Länder bereichern und diese dann am Ende auf den angerichteten Schäden sitzenbleiben«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 8. August 2013


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