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Tiefe Risse in Nigerias Gesellschaft

Unruhen nach der Präsidentenwahl. Spaltung zwischen christlichem Süden und islamisch dominiertem Norden

Von Thomas Berger *

Nach den Präsidentschaftswahlen vom 16. April wachsen die Unruhen in Nigeria. Zwar hat rund die Hälfte der Wahlberechtigten mit 57 Prozent Amtsinhaber Goodluck Jonathan bei der Abstimmung vor wenigen Tagen ein Mandat für eine weitere Legislaturperiode erteilt. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Resultate, wonach der Christ aus dem Süden klar gewonnen hat, kam es aber im islamisch dominierten Norden zu gewaltsamen Ausschreitungen. Dutzende Tote und Verletzte sind inzwischen zu beklagen, der wiedergewählte Präsident selbst wie auch sein wichtigster Gegenkandidat riefen die Einwohner zu Ruhe und Besonnenheit auf. In einigen der betroffenen Städte konnte die nach den ersten Unruhen verhängte Ausgangssperre inzwischen gelockert werden.

Es sei zwar längst nicht alles perfekt gelaufen, dennoch habe es sich um den erfolgreichsten Wahlverlauf im Land seit Jahrzehnten gehandelt, urteilten ausländische Wahlbeobachter. Einige Fragen bleiben zunächst: Daß der Sieger in einigen Teilstaaten des Südens angeblich Ergebnisse zwischen 95 und 99,63 Prozent einfahren konnte, muß hinsichtlich möglicher Manipulationen genauer untersucht werden. Von Betrug in großem Stil wie teilweise in der Vergangenheit kann aber offenbar nicht die Rede sein. Im Norden gewann oft mit sehr großem Vorsprung fast ausnahmslos Exdiktator Muhammadu Buhari, während in den zentralen Landesteilen, wo die Bevölkerungsanteile von Christen und Muslimen weniger stark differieren, das Abschneiden ausgeglichener war. Gerade dort, in Städten wie Jos, hatte es aber schon vor der Wahl immer wieder Ausschreitungen gegeben.

Jonathan, zuvor Vizepräsident, hatte das höchste politische Amt voriges Jahr nach dem Tod des vormaligen Präsidenten Umaru Yar’adu übernommen. Was verfassungsgemäß ein korrekter Schritt war, brachte mit seiner jetzigen Bewerbung um eine komplette zweite Amtszeit aber den seit der Rückkehr zur Demokratie 1999 streng gehüteten Proporz ins Wanken. Demnach sollte das Staatsoberhaupt nämlich immer im Wechsel aus dem Norden und Süden kommen. Die regierende Volksdemokratische Partei (PDP) hatte sich damit erst auf den charismatischen Olusegun Obasanjo, dann den eher zurückhaltend agierenden Yar’adua festgelegt. Auch ein Teil der eigenen Gefolgschaft aus dem Norden war jetzt von Jonathans Kandidatur nicht begeistert.

Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichster Staat, Vielvölkernation mit über 100 Ethnien und bis vor einiger Zeit größter Ölförderer des Kontinents (sowie immer noch einziges afrikanisches OPEC-Mitglied), steht seit Jahren am Rand des Zerfalls. Zwar ist die Zeit der Militärherrschaft vorbei, doch grundlegende demokratische Strukturen haben bislang vor allem der weit verbreiteten Korruption keinen Riegel vorschieben können, eher im Gegenteil. Sowohl Obasanjo als auch sein Amtsnachfolger hatten den Kampf gegen dieses Grundübel formell in den Mittelpunkt ihres Wirkens gestellt – getan hat sich herzlich wenig. Und ebenso vertieft sich seit mehr als einem Jahrzehnt der Riß zwischen den beiden religiös geprägten Landesteilen. In vielen Nordstaaten gilt inzwischen die Scharia, das traditionelle islamische Recht, während der Süden vor allem im ölreichen Nigerdelta von Unruhen lokaler Rebellengruppen erschüttert wird.

Nur gut ein Viertel der erwachsenen Nigerianer hat Jonathan bei der Wahl in absoluten Zahlen seine Stimme gegeben, nicht gerade ein starkes Mandat für den studierten Zoologen. Auf Exdiktator Buhari entfielen ein Drittel der abgegebenen Stimmen. Viele aus dem Norden mögen den einstigen starken Mann jedoch nur deshalb gewählt haben, weil er einer der »ihren« ist. Das Land wieder zu einen, die Wunden der Vergangenheit zu schließen –für den alten und neuen Staatschef jedenfalls keine leichte Aufgabe.

* Aus: junge Welt, 21. April 2011


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