Viel Öl, kein Frieden
Nigeria: Rebellengruppe MEND reagiert auf Verurteilung ihres Anführers mit neuer Gewalt im Nigerdelta
Von Christian Selz, Kapstadt *
Nigeria kommt nicht zur Ruhe. Einen Tag nach der Verurteilung ihres Anführers Henry Okah zu 24 Jahren Haft durch ein Gericht im südafrikanischen Johannesburg kündigte die nigerianische Bewegung zur Emanzipation des Nigerdeltas (MEND) Anfang April die Wiederaufnahme ihres – ohnehin nie vollkommen beendeten – bewaffneten Kampfes an. Die Guerilla-Organisation kämpft gegen die Ausbeutung und Verschmutzung der Region durch Erdölkonzerne und die nigerianische Bundesregierung an. Am 7. April, nur drei Tage nach der Gewaltdrohung, tötete eine zur MEND-gehörende Rebellengruppe nach eigenen Angaben schließlich mehr als Polizisten, die in einem Patrouillenboot im Labyrinth des Deltas unterwegs waren. Zwei Rebellenkämpfer seien ebenfalls erschossen worden. Das behauptete zumindest ein MEND-Sprecher am Sonntag.
Kingsley Omire, der Polizeichef des Bundesstaats Bayelsa, in dem sich der Angriff ereignete, widersprach dem. »Halunken und verärgerte ehemalige Rebellenkämpfer« seien verantwortlich für die Attacke. Außerdem gebe es lediglich »zwölf Vermißte«. Es sei zu früh, um die Beamten für tot zu erklären, so Omire. Dagegen bekundete der Provinzgouverneur bereits öffentlich seine Trauer über den Tod der Polizisten.
Der Angriff in dem von Mangroven-Sümpfen durchzogenen und von jahrzehntelanger Ölförderung bis zur Unkenntlichkeit verschmutzten Gebiet, kommt für Nigerias Präsident Goodluck Jonathan zur absoluten Unzeit. Gerade erst hatte das Staatsoberhaupt eine Kommission geschaffen, die Möglichkeiten und Bedingungen einer Amnestie für Kämpfer der vor allem im Norden des Landes aktiven radikal-muslimischen Terrororganisation Boko Haram auslotet, da explodiert ausgerechnet in seinem Heimatstaat Bayelsa die nächste Front. Die Motive der beiden Gruppen sind grundverschieden. Während Boko Haram gegen einen »westlichen Lebensstil« ankämpft, geht es der 2006 gegründeten MEND um den Protest gegen die Zerstörung der Umwelt und der Lebensgrundlagen von Kleinbauern und Fischern im Nigerdelta. Starken Zulauf erhalten beide Gruppen aufgrund weit verbreiteter Armut und dem faktischen Ausschluß der Bevölkerung von den Gewinnen aus Nigerias enormem Rohstoffreichtum. Im Nigerdelta, wo international agierende Konzerne mit dem zehntgrößten Ölvorkommen der Welt ein Vermögen machen und Nigerias Regierung 80 Prozent ihrer Einnahmen generiert, während die Einheimischen nicht einmal mehr ausreichend Fisch fangen, ist der Kontrast besonders stark.
Die Aktion vom 7. April sei eine Warnung an »die Öffentlichkeit und alle Ölkonzerne, die in der Region operieren«, erklärte MEND-Sprecher Jomo Gbomo. »Die Gruppe setzt ihre Attacken in direkten Zusammenhang mit der Verurteilung Okahs, dem das Gericht in Johannesburg vorwarf, aus seinem dortigen Exil zwei Bombenanschläge in Nigeria im Jahr 2010 organisiert zu haben. Okah bestritt allerdings während des Verfahrens, überhaupt Anführer von MEND zu sein. Eine offizielle Reaktion der nigerianischen Regierung steht noch aus. Bisher scheint vor allem die Polizeiführung auf eine Strategie der Ignoranz und des Abstreitens zu setzen, um der MEND nicht zusätzlichen Zulauf zu bescheren – was diese allerdings zu weiteren Anschlägen provoziert.
* Aus: junge Welt, Montag, 15. April 2013
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