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Nigerdelta zwischen Hoffen und Bangen

Befreiungsbewegung MEND droht bereits wieder mit dem Bruch der zweimonatigen Waffenruhe

Von Ruben Eberlein *

Die von der Befreiungsbewegung für das Nigerdelta (MEND) am Mittwoch angekündigte 60-tägige Feuerpause steht auf tönernen Füßen. Denn die MEND fordert einen Teilabzug der Militärs aus der Region.

Die Zeichen im nigerianischen Nigerdelta stehen nur leicht auf Entspannung: Zwar begrüßte die nigerianische Regierung den Schritt der Rebellen, eine zweimonatige Feuerpause zu verhängen und der für die Deltaregion zuständige Minister Ufot Ekaette sagte, nun müssten weitere Gespräche geführt und Lösungen für den seit Jahren andauernden Konflikt gefunden werden.

Allerdings drohte MEND bereits wieder mit einem Bruch der Feuerpause, weil angeblich ein Militärboot in der Nähe eines Lagers der Rebellen gesichtet worden war. Dies sei ein Bruch der Bedingungen der Waffenruhe, hieß es. Ein Militärsprecher bestritt, dass es Truppenbewegungen gebe, die die Rebellencamps zum Ziel hätten. Es würden lediglich weiterhin Versorgungsschiffe und Boote mit Mitarbeitern der Ölfirmen eskortiert.

Nigerias Zentralregierung hatte am Montag mit der Freilassung des Anführers der MEND ihre Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Henry Okah war im September 2007 in Angola wegen angeblicher Waffenkäufe für die MEND festgenommen und Monate später nach Nigeria ausgeliefert worden. Er musste sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit unter anderem für Hochverrat, Terrorismus und Waffenhandel verantworten. Bei einer Verurteilung hätte ihm die Todesstrafe gedroht.

MEND, ein Dachverband für eine Reihe von Rebellengruppen des Nigerdeltas, reagierte auf die Freilassung Okahs, die eine ihrer zentralen Forderungen war, in einer Mitteilung an die Medien mit Genugtuung und mit der Verkündung der Waffenruhe.

Danach hatte es nicht ausgesehen, als am vergangenen Sonntag ein Anschlag auf einen Ölhafen in Lagos für Aufsehen gesorgt hatte, zu dem sich MEND bekannte. Mit der Attacke auf das Treibstofflager, das für die Versorgung der Region um die Wirtschaftsmetropole im Südwesten Nigerias von hoher Bedeutung ist, und dort ankernde Tanker weitete die Rebellengruppe ihren Aktionsradius erheblich aus. Fünf Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein.

Okahs Begnadigung durch den Federal High Court ist Teil eines Amnestieangebotes, mit dem die Zentralregierung des Präsidenten Umaru Yar'Adua derzeit versucht, die von vielschichtigen Konflikten zerrüttete Erdöl-Förderregion im Süden Nigerias zu befrieden. Seit Ende 2005 erhielten die seit Jahrzehnten ausgetragenen sozialen und politischen Konfrontationen zwischen Nigerdelta- Gemeinden, Zentralstaat und Ölmultis mit der Ausbreitung von bewaffneten Gruppen eine neue Dimension. Nach Einschätzung einiger Experten soll es in der Region mehr als 50 Camps von Aufständischen geben, deren Zahl auf bis zu 25 000 Kämpfer geschätzt wird.

Mit dem Begnadigungsangebot einher ging die Aussetzung einer groß angelegten Militärintervention der Joint Task Force (JTF), die Mitte Mai begonnen hatte. Im Zuge dieser Aktion sollen Hunderte Zivilisten ums Leben gekommen sein, Tausende wurden vertrieben. Hauptziel der Intervention war offensichtlich die Entmachtung von »Tompolo« Ekpemupolo.

Tompolo soll die Operationen der MEND im westlichen Nigerdelta kommandiert haben, stand jedoch nigerianischen Berichten zufolge gleichzeitig über mehrere Jahre auf der Gehaltsliste von offiziellen Institutionen.

Unter Beobachtern und Aktivisten aus dem Nigerdelta ist die Auffassung weit verbreitet, dass sogenannte Aufständische, kriminelle Syndikate, staatliche Akteure und Militärs nicht selten in Kollaboration miteinander agieren. So ist das illegale Anzapfen von Ölpipelines und der Export dieses Öls ein milliardenschweres Geschäft, das ohne Duldung und Unterstützung durch Armee, Ölgesellschaften und von höchsten Staatsämtern nicht vonstatten gehen könnte. Nach neuesten Schätzungen des UN Office for Drugs and Crime werden im Nigerdelta mindestens 55 Millionen Barrel Rohöl pro Jahr - das sind mehr als zehn Prozent der gesamten nigerianischen Fördermenge - gestohlen und außer Landes gebracht, heißt es in einem entsprechenden Bericht. Die Widerstände gegen tatsächlich tief greifende Veränderungen der katastrophalen Lage im Nigerdelta sind folglich enorm stark.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juli 2009


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