Krieg um die Ölprofite des Nigerdeltas
Regierende, Militärs und Aufständische sind nicht selten Komplizen *
Seit dem 15. Mai geht Nigerias Armee in einer Großoffensive gegen Rebellen und Kriminelle im ölreichen Delta des Nigers vor. Den Kämpfen sollen bereits Hunderte Zivilisten zum Opfer gefallen sein. Am vergangenen Donnerstag (20. Mai) forderte das Unterhaus des nigerianischen Parlaments sogar eine Ausweitung der Militäraktion. Mit Udengs Eradiri, Generalsekretär des Ijaw-Jugendrates (IYC), sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Ruben Eberlein. Die Ijaw sind die größte im Nigerdelta lebende Volksgruppe.
Wir dokumentieren im Folgenden das Interview.
Was wissen Sie über die Lage im Nigerdelta?
Die Militäraktion läuft nun seit fast zwei Wochen. In den vergangenen Tagen wurden vor allem
Gemeinden im Verwaltungsdistrikt
Warri South West im Bundesstaat Delta bombardiert. Die Armee setzte Kriegsschiffe, Hubschrauber
und Bodentruppen ein.
Warum werden diese Dörfer angegriffen?
Offiziell sagt das Militär, es jage die bewaffneten Gruppen, die kürzlich mehrere Zusammenstöße mit
der Armee hatten und dabei Schnellboote versenkten. Doch bei den Angriffen kommen vor allem
unbeteiligte Zivilisten ums Leben, und das in großer Zahl. Wir schätzen, dass seit Beginn der
Offensive über 500 Menschen getötet wurden. Viele Häuser wurden zerstört.
Haben die aufständischen Gruppen in dieser Region Stützpunkte?
Ja. Diese Rebellenlager liegen in der Nähe der Dörfer, denn die Rebellen stammen oft aus den
benachbarten Gemeinden. Das Militär geht aber nicht gegen die Lager vor, sondern gegen die
Gemeindebewohner. Die Armee geht davon aus, dass alle Einwohner – vom Jugendlichen bis zum
Dorfvorsteher – militante Kämpfer sind.
Weshalb geht die Armee nicht direkt gegen die Lager der Rebellen vor?
Die örtlichen Militärs sind oft selbst in den groß angelegten Öldiebstahl im Delta verstrickt. Wenn
alles glatt läuft, sitzen sie in ihren Stützpunkten und profitieren gemeinsam mit den Rebellengruppen
von der illegalen Förderung und vom Export des Erdöls. Wenn es allerdings zum Streit über dieses
Geschäft kommt, wird die Armee eingesetzt. Wenn Wahlen bevorstehen, die manipuliert werden
sollen, gehen selbst Politiker in die Rebellenlager und suchen die Unterstützung der Anführer
bewaffneter Gruppen.
Sie unterstellen demnach, dass die gegenwärtige Militäroffensive durch Streitigkeiten innerhalb der
kriminellen Netzwerke ausgelöst wurden, die illegal Erdöl exportieren?
Genau so ist es. Militärs und Aufständische sind nicht selten Komplizen. Sie sind miteinander im
Geschäft und teilen sich den Gewinn.
Wie reagieren die Führungen der Bundesstaaten im Nigerdelta auf die zunehmende Militanz von
Rebellen und Kriminellen?
Die Regierung des Bundesstaats Bayelsa beispielsweise hat Aufständischen und bewaffneten
Gruppen noch bis vor kurzem Geld gezahlt, um sie ruhigzustellen und die Zerstörung von
Erdölanlagen oder die Entführung von Ausländern stoppen. Wir halten das allerdings für eine falsche
Strategie und haben gefordert, diese Zahlungen einzustellen. Das Geld wird nämlich schlicht dafür
verwendet, Waffen zu kaufen.
Um welche Beträge geht es da?
Wir sprechen von ungefähr 200 000 Euro pro Monat. Doch jetzt wurden diese Zahlungen, zumindest
offiziell, eingestellt.
Wie bewerten Sie die Rolle der Zentralregierung unter Präsident Umaru Yar'Adua?
Das ist eine gescheiterte Regierung. Sie hat keine Strategie für Nigeria. Die Aufständischen sagen:
Ihr könnt uns nicht Kriminelle nennen, wenn ihr nicht in der Lage seid, Elektrizität, Bildung und
Infrastruktur für die Menschen zu sichern. Wer ist hier der Kriminelle? Es ist zudem bekannt, dass es
Funktionäre der Regierung sind, die in Kollaboration mit den bewaffneten Gruppen Pipelines
zerstören, um Gelder aus dem Sicherheitshaushalt zu veruntreuen.
Wie geht das vor sich?
Wenn die Gelder, die in den Budgets für Innere Sicherheit zur Verfügung stehen, nicht verbraucht
werden, weil keine Erdölanlagen zerstört wurden, fließen sie in die Staatskassen zurück. Diese
Offiziellen bewaffnen Jugendliche und schaffen ein Konfliktszenario einzig zu dem Zweck,
Staatsgelder zu stehlen und ihre Macht zu sichern. Deshalb ist es nicht in ihrem Interesse, dass es
zu dauerhaftem Frieden in der Region kommt. Es gibt auf allen Ebenen eine extreme Korruption und
keinerlei öffentliche Kontrolle.
Die Aufständischen, Ihre Organisation und andere Verbände aus dem Nigerdelta verlangen, dass
internationale Vermittler tätig werden, um die Konflikte zu entschärfen. Warum?
Weil wir das Vertrauen in die nigerianische Regierung verloren haben. Die Vereinten Nationen
sollten einschreiten. Doch die westlichen Staaten haben scheinbar kein Interesse an den Zuständen
im Nigerdelta, es geht ihnen lediglich um den Import des Erdöls. Sie
nehmen nur die Berichte der Zentralregierung zur Kenntnis und halten sie für eine realistische
Beschreibung der Lage. Wir hoffen, dass sich die neue Regierung in den USA mehr der wahren
Ursachen der Krise im Süden Nigerias annimmt.
* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2009
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