Neue Strategie in Nigeria
Präsident Jonathan sucht Amnestielösung im Kampf gegen Islamisten
Von Simon Loidl *
Nigeria versucht derzeit eine neue Strategie im Kampf gegen islamistische Aufständische im Norden des Landes. Präsident Goodluck Jonathan setzte vor einigen Tagen eine Kommission ein, die Grundlagen für eine Amnestie für Mitglieder der Boko-Haram-Sekte ausarbeiten soll. Die geplante Maßnahme wird in Nigeria seit Wochen kontrovers diskutiert. Immerhin soll Boko Haram für Dutzende Anschläge verantwortlich sein, bei denen während der vergangenen Jahre mindestens 1400 Menschen getötet wurden. Da die Regierung mit Repression kein Ende der Angriffe erreichen konnte, will sie nun einen Schritt auf die Islamisten zugehen.
Bis vor einigen Wochen hat Jonathan eine Amnestie abgelehnt, stimmte Anfang April schließlich der Idee zu, die vor allem von Politikern und religiösen Führern des islamisch geprägten Nordens des Landes in die Diskussion um ein Ende der Gewalt eingebracht worden war.
Dabei lehnte Boko Haram selbst eine Amnestie bereits ab. Man habe sich keiner Verbrechen schuldig gemacht, die einer Begnadigung bedürfen, hieß es seitens der Organisation. »Überraschenderweise« spräche die Regierung über eine Amnestie für Boko Haram, zitierte die nigerianische Tageszeitung The Guardian Abubakar Shekau, eine der Führungspersonen der Sekte, am 11. April. »Was haben wir falsch gemacht? Im Gegenteil sind wir es, die euch verzeihen sollten«, so Shekau in Richtung der Regierung.
Auch vor dem Hintergrund dieser Ablehnung sagte Jonathan Mitte der Woche, daß die Nigerianer nun »Wunder« von dem Komitee erwarten würden. Dieses wird vom Minister für besondere Angelegenheiten, Kabiru Turaki, geleitet und besteht aus insgesamt 25 Personen aus dem politischen und religiösen Leben des Landes. Der Präsident kündigte an, daß das Gremium drei Monate Zeit habe, um Gespräche mit Boko Haram zu beginnen, die Modalitäten der Amnestie auszuarbeiten und Bedingungen für Entschädigungszahlungen für die Opfer der Anschläge und Kämpfe vorzuschlagen.
Während die Umsetzung des Vermittlungsversuchs diskutiert wird, kommt es beinahe täglich zu neuer Gewalt. Am Mittwoch und Donnerstag wurden in der Stadt Gashua Militärposten und Polizeistationen angegriffen. Bei den Kämpfen wurden mindestens 25 Menschen getötet. Nach wie vor sind auch die genauen Umstände des Massakers in dem am Tschadsee gelegenen Fischerdorf Baga unklar. Dabei wurden Ende vergangener Woche zahlreiche Menschen getötet. Einheiten der multinationalen »Joint Task Force«, einer aus nigerianischen, tschadischen, nigrischen und kamerunischen Militärs zusammengesetzte Truppe, hatten sich stundenlange Kämpfe mit Boko-Haram-Kämpfern geliefert. Während die nigerianischen Behörden mitteilten, daß dabei 30 islamistische Kämpfer, ein Soldat und sechs Zivilisten getötet worden seien, sprachen Augenzeugen von mindestens 200 und das Rote Kreuz von 187 Toten. Die meisten seien demnach Dorfbewohner gewesen, die in ihren vom Militär in Brand gesteckten Häusern starben. Diese Darstellung wurde von offizieller Seite zurückgewiesen und eine Untersuchung angekündigt.
Bereits in der Vergangenheit wurde immer wieder Kritik am Vorgehen von Polizei und Armee im Kampf gegen islamistische Aufständische laut. Oft war dabei von extralegalen Tötungen und einer zunehmenden Militarisierung des Konfliktes die Rede. Diesen Vorwürfen begegnet die Regierung nun mit dem Amnestie-Komitee. Die der Gewalt zugrundeliegenden sozialen Ursachen werden dabei jedoch nicht berührt. Korruption, Armut und die damit verbundene Perspektivlosigkeit vor allem nigerianischer Jugendlicher befördert islamistische Gruppen. Gleichzeitig hat sich deren Einfluß im Norden des Landes während der vergangenen Jahre beträchtlich ausgeweitet. Die Einrichtung des Komitees ist auch ein Eingeständnis des Präsidenten, daß vor dem Hintergrund dieses wachsenden Einflusses eine politische Lösung unumgänglich ist. Solange jedoch die Einnahmen aus den Ressourcen des ölreichen Landes nicht für Infrastruktur und soziale Maßnahmen genutzt werden, sondern innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Eliten verteilt werden, ändert sich nichts an der Situation.
* Aus: junge Welt, Samstag, 27. April 2013
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