Eine Giftliste mit 135 Namen
Viele Kandidaten für Nigerias Wahlen stehen unter Korruptionsverdacht
Von Thomas Berger*
Etliche Kandidaten für die demnächst anstehenden Wahlen in Nigeria sind aus moralischer Sicht
ungeeignet. Das hat die Antikorruptionskommission des Landes festgestellt und ihre Informationen
den Parteien zukommen lassen. Die Opposition wittert eine gezielte Rufmordkampagne.
135 Fälle sind es, in denen Bewerbern um hohe politische Posten fragwürdiges Verhalten
vorgeworfen wird. Prominentester Beschuldigter ist einmal mehr Vizepräsident Atiku Abubakar, der
sich mehr als jeder andere Genannte sofort nach Bekanntwerden der Liste gegen die Anschuldigung
verwahrte. Er sei nicht korrupt, sondern habe seinen Wohlstand auf ehrliche Weise durch
geschicktes Investieren aufgebaut, ließ er mittlerweile zum wiederholten Mal die Öffentlichkeit
wissen. Denn auch aus dem Umfeld des gegenwärtigen Staatsoberhauptes Olusegun Obasanjo
hatte es in dieser Hinsicht schon mehrfach Vorwürfe gegeben. Angeblich hat der formal
zweitmächtigste Mann Nigerias mehrere Millionen Dollar veruntreut.
Bisher hatte sich Abubakar wenigstens teilweise damit hinausreden können, dass seine heftigsten
Gegner ihn diskreditieren wollen. Zwischen ihm und Obasanjo ist das Tischtuch längst zerschnitten
– beide Männer, die 2003 als Duo antraten, sind sich nunmehr in inniger Feindschaft verbunden.
Während der Vizepräsident verhinderte, dass dem Staatschef durch eine geplante
Gesetzesänderung eine dritte Amtszeit ermöglicht wurde, hat Obasanjo seinen Widersacher aus der
Regierungspartei People's Democratic Party (PDP) ausschließen lassen. Bei den anstehenden
Präsidentschaftswahlen geht Abubakar nun für die Oppositionspartei Action Congress (AC) ins
Rennen. Dass ihm jetzt auch die prinzipiell unabhängige Antikorruptionskommission
Selbstbereicherung unterstellt, wird seine Chancen weiter schmälern. so er denn seine Kandidatur
aufrecht erhält.
Die Liste, mit der das Gremium an die Öffentlichkeit getreten ist, wirft generell ein bezeichnendes
Licht auf die Zustände im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas. In der jährlichen Studie der
Organisation Transparency International landet Nigeria regelmäßig auf einem der hintersten Plätze,
gehört zu den korruptionsanfälligsten Ländern weltweit. Die Bekämpfung dieses gesellschaftlichen
Grundübels hatte sich Präsident Obasanjo denn auch als eine der Hauptaufgaben seiner demnächst
endenden zweiten Amtszeit auserkoren. Der Fortschritt ist mühsam. Allein die regierende PDP ist
mit 53 namhaften Mitgliedern auf der 135 Namen umfassenden »Giftliste« der staatlichen
Korruptionsbekämpfer vertreten. Vier ihrer Gouverneurskandidaten und ein Bewerber für den
Vizegouverneursposten sind aus Sicht der Kommissionsmitglieder belastet.
Auch die größte Oppositionspartei ANPP mit 39 Nennungen, darunter neun Aspiranten auf den
Posten eines Regionalchefs, kommt kaum besser weg. Und die AC, für die Atiku Abubakar das
höchste Staatsamt erobern will, steht einschließlich seiner Person mit 27 Kandidaten in der Kritik.
Allein diese Verteilung, zu der noch 19 Mitglieder anderer Gruppen kommen, verdeutlicht, dass die
Antikorruptionskommission keineswegs gezielt einer bestimmten Partei mit der Veröffentlichung
schaden wollte. Keine der wichtigen politischen Kräfte kommt ungeschoren davon.
Allerdings hat die Forderung, solcherlei Kandidaten zurückzuziehen, lediglich empfehlenden
Charakter. Wie die Parteien mit den Informationen der Liste umgehen, liegt ganz allein in ihrem
Ermessen. Da es sich bei den Genannten teilweise um die Favoriten im Kampf um wichtige
Positionen handelt, sind Konsequenzen im Sinne einer saubereren Politik nicht unbedingt zu
erwarten. Selbst ob sich die Partei des Präsidenten bemüßigt fühlt, ihre Kandidaten wenigstens
nochmals zu überprüfen, ist trotz Obasanjos Antikorruptionskurs wegen wahltaktischen Erwägungen
fraglich.
Inwieweit die Liste sich auf das Wählerverhalten auswirkt, ist offen. Die bürgerlich-demokratische
Tradition im Land ist kurz. Gerade mal elf der ersten 39 Jahre seiner 1960 erlangten Unabhängigkeit
hatte der westafrikanische Staat eine zivile Regierung. Ein schweres Erbe für den Neuanfang 1999.
Wahlentscheidungen fallen vor allem entlang der regional-ethnischen Herkunft der Kandidaten.
Wichtig im Vielvölkerstaat mit seinen über 100 ethnischen Gruppen ist besonders, in welcher Weise
die Machtteilung zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden arrangiert wird.
Auch in dieser Hinsicht bietet übrigens die Liste der mutmaßlich korrupten Spitzenpolitiker
»ausgleichende Gerechtigkeit«, so dass niemand ernsthaft den Vorwurf der Einseitigkeit erheben
kann.
* Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2007
Zurück zur Nigeria-Seite
Zurück zur Homepage