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Keine Lösung in Sicht

Nigeria: Anschläge und Racheaktionen nehmen zu. Präsident entläßt Verteidigungsminister. USA setzen Boko-Haram-Führer auf Terrorliste

Von Christian Selz, Kapstadt *

Die Nachrichten aus Nigeria ähneln sich seit Monaten: Bombenanschläge auf Kirchen, Nachtclubs oder Polizeieinrichtungen, mordende Jugendmobs auf Rachefeldzug und eine Regierung, die immer machtloser erscheint. Die Opferzahlen steigen mit der immer höheren Frequenz der Attacken sukzessive, in den vergangenen beiden Wochen allein starben bei Bombenanschlägen der islamistischen Terrororganisation Boko Haram und Übergriffen christlicher Banden über 100 Menschen. Eine Lösung des Konfliktes ist nicht in Sicht, stattdessen gossen die USA vor wenigen Tagen weiteres Öl ins Feuer, indem sie drei Boko-Haram-Führer auf ihre Terrorliste setzten. Die Reaktion der nigerianischen Botschaft auf die damit zu befürchtenden Drohnen-Angriffe: Ein Brief der Botschaft an die Amerikaner mit der Bitte, bei einem Angriff auf nigerianischem Boden die unmittelbaren Nachbarn der Terroristen zu verschonen.

Das jüngste Beispiel der kopflosen Maßnahmen der nigerianischen Regierung unter Präsident Goodluck Jonathan führte einerseits zu starker Kritik aus religiösen Kreisen, die sich für eine friedliche Lösung einsetzen, und untermauerte andererseits erneut die Hilflosigkeit des nigerianischen Staates. Jonathan hatte zu Beginn des Jahres selbst zugegeben, daß Boko Haram Kontaktleute innerhalb seiner Regierung haben müsse. Enttarnen konnte er sie bis heute nicht. Am Freitag entließ der Regierungschef nun nach Angaben der in der Hauptstadt Abuja erscheinenden Zeitung Leadership wutentbrannt seinen nationalen Sicherheitsberater Andrew Azazi sowie den Verteidigungsminister Alhaji Bello. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um hochrangige Bauernopfer. Während für Bello noch kein Nachfolger feststeht, übernimmt den Beraterposten künftig der in den USA ausgebildete Exgeneral Sambo Dasuki, ein ehemaliger Getreuer des Militärdiktators Ibrahim Babangida.

Mit der Bestellung Dasukis ist die Hoffnung verbunden, daß der Moslem aus dem umkämpften Norden des Landes in der Krise vermitteln kann. Tatsächlich liegen die Wurzeln des nigerianischen Chaos nicht in den unterschiedlichen Religionen sondern in der ausufernden Korruption und extremen Armut im bevölkerungsreichsten Land Afrikas, wo 80 Prozent der Menschen trotz riesiger Ölvorkommen von weniger als zwei Dollar pro Tag leben. Perspektivlosigkeit und Armut treiben die Jugendlichen in die Arme radikaler Lokalpolitiker, Geistlicher und Kriegsherren, die in der Regel hauptsächlich nur politische und wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgen.

Es mehren sich die Stimmen derer, die Politiker der nördlichen Bundesstaaten aufrufen, ihre Scharmützel zugunsten einer Einheitslösung aufzugeben. Aussichtsreich ist auch das nicht, weil Boko Haram inzwischen Teil des politischen Establishments der nördlichen Bundesstaaten ist. Und auch Jonathan fehlt es am nötigen Einfluß, um die Verhältnisse nachhaltig zu ändern. Sein groß angekündigter Plan, mit der – nach Protesten der Bevölkerung teilweise wieder zurückgenommenen – Abschaffung der Treibstoffsubventionen, um die Korruption im Land zu bekämpfen, endete im Nichts.

Statt dessen stieg mit den Kosten für Transport und Nahrungsmittel auch die Wut der armen Massen. Zudem unterhält Nigeria weiterhin einen der teuersten Regierungsapparate der Welt, der ein Viertel seines Budgets für sich selbst ausgibt. »Was in der Nationalversammlung passiert, kann so beschrieben werden«, sagt daher der ehemalige Justizminister Richard Akinjide: »Plünderung der Staatskassen«. Die politischen Kräfte im Norden fühlen sich bei der Jagd nach Ressourcen vom Präsidenten des Südens, Jonathan, benachteiligt. Ohne weitreichende Zugeständnisse wird der den Terror daher nicht beenden können.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Juni 2012


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