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Blutbad in Zentralnigeria

Religion wird erneut für politische Interessen instrumentalisiert

Von Marc Engelhardt, Jos *

Nach tagelangen gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen in der nigerianischen Stadt Jos hat sich die Lage am Donnerstag weiter beruhigt. Dennoch blieben am Morgen Tausende Soldaten vorsorglich in der 500 000-Einwohner-Stadt, der Hauptstadt des zentralen Bundesstaats Plateau. Die Behörden lockerten die Ausgangssperre und gestatteten den Bewohnern das Verlassen ihrer Häuser für die Dauer von sieben Stunden, unter anderem um sich mit Nahrungsmitteln und Wasser versorgen zu können.

Als am Mittwoch (20. Jan.) Hundertschaften der nigerianischen Armee das Zentrum der Stadt Jos sicherten, herrschte zum ersten Mal seit Sonntag Ruhe. Die Schüsse, die immer wieder zu hören gewesen seien, hätten aufgehört, berichtet Pfarrer Pandang Yamsat, der der »Kirche Christi« vorsteht, mit drei Millionen Mitgliedern eine der größten Kirchen im Zentrum Nigerias.

Die Rauchfahnen aus angesteckten Kirchen, Moscheen und Häusern seien verschwunden. »Die Lage in Jos selbst hat sich etwas beruhigt«, so Yamsat. »Aber bevor die Armee kam, war es sehr, sehr schlimm.« Genaues war auch vier Tage nach Ausbruch der Unruhen nicht bekannt.

So viel steht fest: muslimische und christliche Jugendliche haben sich gegenseitig umgebracht, in einem der Blutbäder, für die das einst als Kurort gegründete Jos inzwischen berüchtigt ist. Vor gut einem Jahr starben bei ähnlichen Unruhen zwischen 200 und 700 Menschen, 2001 waren es mehr als 1000.

Wie hoch die Zahl der Opfer diesmal war, ist unklar. 151 Muslime sollen seit Sonntag zur Zentralmoschee der Stadt gebracht worden sein, berichtet die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch. Die Kirchen in der Stadt berichten demnach von 65 toten Christen. Im größten Krankenhaus, dem Universitätsklinikum, wurden 50 Verletzte behandelt.

Gut neunzig Prozent der Verletzten haben Schusswunden, der Rest ist mit Messern oder Pfeilen verletzt worden«, sagt Dabit Joseph, einer der Ärzte. Obwohl die Ärzte rund um die Uhr arbeiten, müssen zahlreiche Verletzte abgewiesen werden. Mindestens zwei sollen deshalb ihren Verletzungen erlegen sein.

Doch während die Menschen im Zentrum von Jos aufatmeten, wurden aus den Außenbezirken und umliegenden Ortschaften neue Ausschreitungen gemeldet. In Pankshin, gut 100 Kilometer entfernt, berichteten Bewohner von brennenden Regierungsgebäuden. In den umliegenden Bundesstaaten wurde die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Im »Middle Belt«, wie die Region zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden Nigerias genannt wird, sind die Spannungen zwischen den Andersgläubigen latent groß. Kreuzzüglerisch anmutende Missionsbewegungen sind in Jos ebenso zuhause wie islamistische Kampfgruppen. Vor allem aufgehetzten Jugendlichen genügt der kleinste Anlass zur Gewalt.

Welcher Anlass es diesmal war, war bis zum gestrigen Donnerstag (21. Jan.) noch unklar. Muslime sprachen von einem grundlosen Angriff auf einen Glaubensgenossen, der sein während der letzten Unruhen zerstörtes Haus fertig gestellt habe. Auf einmal seien christliche Jugendmilizen erschienen und hätten ihn vertreiben wollen, sagt der Mann, Alhaji Kabir Muhammad. Pfarrer Yamsat hingegen spricht von einem gezielten Angriff nach der Sonntagsmesse (17. Jan.). »Das war geplant, unsere Jugendlichen haben sich nur verteidigt«, so Yamsat. »Die Muslime wollen das Land alleine regieren, aber das geht nicht, es gehört Christen und Muslimen gleichermaßen.« Die Anspannung zeigt sich in einer Ankündigung Yamsats: »Je gewalttätiger die Muslime werden, desto gewalttätiger werden wir Christen.«

Nicht alle teilen Yamsats Einschätzung. Der Muslim Shamaki Gad von der Menschenrechtsliga in Jos macht vor allem soziale Spannungen verantwortlich. »Frühere Ausschreitungen sind nie aufgeklärt worden, niemand wurde verhaftet - deshalb gibt es ein Gefühl der Straflosigkeit«, so Gad. »Weil auch die versprochenen Reparationen vom Staat nie geflossen und die Leute arm und hoffnungslos sind, gehen sie aus Frust erneut auf die Straße.«

Seine Analyse teilt Gad mit dem katholischen Erzbischof von Jos. »Die Auseinandersetzungen haben sehr wenig mit Religion zu tun«, so Ignatius Kaigama. »Religion wird hier instrumentalisiert, um ethnische und politische Interessen leichter durchzusetzen.«

* Aus: Neues Deutschland, 22. Januar 2010


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