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Kein Frieden im ölreichen Niger-Delta

Die Bilanz des ersten Regierungsjahres von Nigerias Staatschef Umaru Yar'Adua ist dürftig

Von Anton Holberg *

Vor einem Jahr wurde Umaru Yar' Adua zum Präsidenten Nigerias gewählt. An ihn wurden Hoffnungen auf einen Neuanfang geknüpft. Sichtbare Fortschritte im Kampf gegen die Korruption und bei der Beilegung des Konflikts im ölreichen Niger-Delta sind derweil nicht zu verzeichnen.

Seine Wahl im Mai 2007 war umstritten, Vorwürfe der Wahlfälschung machten wie in Nigeria üblich die Runde. An der persönlichen Integrität Umaru Yar' Aduas gab es jedoch kaum Zweifel. Er trat mit dem Versprechen an, die zentralen Probleme des Landes -- neben der weit verbreiteten Korruption auch die Unruhen in der Region des Niger-Deltas -- zu lösen.

Nigeria ist der größte Erdölproduzent und -exporteur Afrikas und steht weltweit an achter Stelle. Das Erdöl stellt 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 95 Prozent der Deviseneinnahmen dieses Landes und deckt 80 Prozent des Staatsbudgets. Gefördert wird es an und vor der Küste des Niger-Deltas. Die Situation dort ist also für die wirtschaftliche und politische Entwicklung des gesamten Landes zentral.

Eben dort aber unternimmt seit gut zwei Jahren die Bewegung für die Befreiung des Niger-Deltas (MEND) bewaffnete Aktionen. Erklärtermaßen will sie dadurch ihrer Forderung nach einem gerechten Anteil der sogar für nigerianische Verhältnisse besonders vernachlässigten örtlichen Bevölkerung an den Gewinnen der Erdölförderung Nachdruck verleihen.

Ende Mai behauptete Präsident Yar'Adua, seine Regierung habe bedeutende Fortschritte in Gesprächen mit politischen Führern und militanten Kräften im Delta gemacht. Nigerianische Beobachter wiesen darauf hin, dass es zum einen seit geraumer Zeit gar keine neuen Spitzengespräche gegeben habe und dass zum anderen die MEND überhaupt nicht einbezogen worden sei. Darüber hinaus bedürfe es keiner Konferenzen, da längst bekannt sei, wo das Problem liege -- nämlich in der Armut der örtlichen Bevölkerung und der Korruption.

Die Regierung verweist auf Erfolge bei der Eindämmung der MEND. Mit Dokubo Asari hat sie den bekanntesten Führer der Bewegung praktisch gekauft. Das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen Landesverrats wurde gegen Zahlung einer Kaution ausgesetzt. Zwei weitere Führer, darunter Henry Okah, befinden sich in Haft.

Doch das scheint die MEND kaum zu schwächen. Am 26. April sprengte die Bewegung eine Shell-Ölpipeline. In ihrer Erklärung nannte sie den Anschlag eine Warnung an die Regierung, die damit gescheitert sei, der Delta-Region Frieden, Sicherheit und Versöhnung zu bringen. Auch mit dieser Aktion hat die MEND dazu beigetragen, dass Nigerias Erdölförderung in den letzten beiden Jahren um fast 25 Prozent gesunken ist.

Die MEND ist indes nicht die einzige nichtstaatliche bewaffnete Kraft im Delta. Die katastrophale Lage hat eine Vielzahl von Gruppierungen entstehen lassen, die - auf marginalisierte Jugendliche gestützt - ihren Lebensunterhalt inzwischen durch Angriffe auf Familien und Häuser der nigerianischen Bourgeoisie und durch Lösegelderpressungen bestreiten.

Die allgegenwärtige Korruption stellt auch den Kampf gegen die Rebellen im Delta in Frage. So beschloss ein Gericht, dass der Prozess gegen Henry Okah unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden soll. Kritiker argwöhnen, dadurch solle lediglich verhindert werden, dass Okahs Kenntnisse über die Kollaboration zwischen bewaffneten Gruppen, Politikern und Angehörigen der Sicherheitskräfte bei Waffenhandel, Erpressung, Wahlfälschungen und dem Diebstahl von Öl im Wert von Hunderten von Millionen Dollar bekannt werden.

So besteht auch wenig Hoffnung darauf, dass die von Abgeordneten des Parlaments angekündigte Untersuchung der für den Erdölsektor verantwortlichen Behörden zu greifbaren Ergebnissen führt. Der nigerianische Journalist Omoyele Soware schrieb: »Wir werden wieder einmal ganz viel Lärm hören, vor allem in den Medien, aber es wird nicht an die Wurzeln des Problems rühren.« Und das scheint die Tendenz unter der Regierung des Präsidenten Umaru Yar'Adua zu sein.

* Neues Deutschland, 9. Juni 2008


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