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Die Rache der Wassergeister

"Letzte Ölung Nigerdelta" – das Münchner Völkerkundemuseum erzählt vom Drama der Erdölförderung

Von Sabine Matthes *

Als die Royal Dutch Shell 1956 das Öl in Oloibiri im Nigerdelta entdeckte, wurden in den Mangrovenwäldern die Lagunen, Flüsse und Seen von Wassergeistern beschützt. Dieser Glaube der Menschen prägte ihren ehrfürchtigen Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen. Verletzten Fischer die Ansprüche bestimmter Fischarten, konnten rachsüchtige Geister »unbefugtes Eindringen und menschliche Unachtsamkeit rigoros ahnden und mit Krankheit oder Tod« bestrafen. So beschreibt es Stefan Eisenhofer, Mitkurator der Ausstellung und Leiter der Afrikaabteilung des Münchner Völkerkundemuseums, im Katalogtext.

Die spirituellen Besitzer der Gewässer wurden häufig von bestimmten Sägefischarten verkörpert, die durch Masken und Feste verehrt wurden. Auf einem Behälter stellen die geschnitzten Figuren Anjenu-Flußgeister dar, die bei Regelverstößen Krankheiten verursachen. Solch traditionelle Objekte und Masken wirken in der Ausstellung, zwischen der fotografischen Science-Fiction-Realität in den Leuchtkästen, wie magische Irrlichter, fragile Mahnmale einer verlorenen Zeit.

Die postapokalyptischen Bilder der 15 international renommierten Fotografen wie Ed Kashi, George Osodi, Akintunde Akinleye und die fast zeitgleich in Libyen erschossenen Kriegsreporter Tim Hetherington und Chris Hondros dokumentieren die heutige alltägliche Umweltkatastrophe – in teils irritierend unheimlicher Schönheit. Andere Objekte zeigen, daß die Vergewaltigung des Nigerdeltas lange vor der Erdölförderung, mit dem globalen Handel von Sklaven und Elfenbein begonnen hat.

Mit seinem Labyrinth mäandernder Wasserarme ist das Nigerdelta etwa so groß wie Belgien. Es ist das drittgrößte Feuchtgebiet der Erde. Von den 140 Millionen Einwohnern Nigerias leben hier etwa 30 Millionen, aus 40 verschiedenen Ethnien. Am Golf von Guinea liegend, umschließt es neun Erdöl fördernde Bundesstaaten und macht Nigeria zum sechstgrößten Ölexporteur der Welt. Doch obwohl die Erträge der 606 Ölfelder rund 80 Prozent der Staatseinnahmen ausmachen, die 2006 mit etwa 40 Milliarden Dollar ihren Höhepunkt erreichten, gelangt nur ein Bruchteil davon in die Ölregion selbst, wo es an Benzin, Strom und asphaltierten Straßen fehlt.

Während die nigerianische Zentralregierung in Abuja, multinationale Ölkonzerne und wir alle als Konsumenten in hohem Maße von der Erdölförderung profitieren, hat sie vor Ort den Lebensraum zerstört. So stellt die mit weißer Ölfarbe bekleckerte Justitia-Skulptur »Birdshit Justice« (2007) der nigerianischen Künstlerin Sokari Douglas Camp gleich zu Beginn der Ausstellung klar, wie beschissen es mit der Gerechtigkeit aussieht.

»Sechs Sonnenaufgänge kann man im Delta am Tag erleben«, sagt sie – immer wenn das Gas abgebrannt wird und leuchtend rot und heiß am Himmel brennt. Tag und Nacht fauchen riesige Gasfackeln nahe der Siedlungen, manche benutzen die Hitze zum Backen. Das Abfackeln des mit dem Öl aus der Erde gepumpten Gases verschwendet Gas im Wert von Milliarden. Der Ruß legt sich auf Schleimhäute und Atemwege, auf Felder und Gewässer.

Durch den konstanten sauren Regen und das aus verrosteten oder sabotierten Pipelines auslaufende Öl ist der traditionelle Ackerbau und Fischfang unmöglich. Wer Fische und Krebse fangen will, paddelt in einer schwarzen Soße ausgelaufenen Rohöls. Nutzvieh muß importiert werden. Durch die Umweltverschmutzung sank im Delta die Lebenserwartung im Vergleich zum Rest Nigerias um etwa zehn Jahre.

Das Ausstellungsplakat, ein Foto des nigerianischen documenta-XII-Künstlers George Osodi, zeigt einen völlig weiß geschminkten jungen Mann während einer Protestkundgebung am Isaak-Adaka-Boro-Gedenktag. Erratisch wirkt er, wie ein japanischer Butoh-Tänzer, mit den blauen Lettern »HELP DELTA boy« auf der Brust und von einer bewaffneten Gestalt an den Bildrand gedrückt.

Die Farben des Sonnenuntergangs verzerren sich in den Fotos zu »Flammen der Hölle«, so ein Buchtitel von Ken Saro-Wiwa. Bei George Osodi bersten sie gold-schwarz aus einem silbrigen Gewässer und haben acht Menschen getötet, weil mutmaßliche Milizkämpfer durch die Explosion einer sabotierten Pipeline einen Großbrand auslösten. Bei Akintunde Akinleye, der die Ausstellung mitkuratierte, löscht ein Mann in einem Vorort von Lagos mit heroischer Geste ein Feuer, das 269 Menschen getötet und Dutzende verletzt hat, weil eine Pipeline von einer bewaffneten Bande angezapft wurde und in Brand geriet, als die Anrainer den ausgelaufenen Treibstoff aufsammelten.

Obwohl der jetzige Präsident selbst aus dem Nigerdelta ist, wurde es eher schlimmer – da er nicht den drei mächtigen Bevölkerungsgruppen angehört, ist er ein eher schwacher Präsident. Seit 2006 kämpfen die MEND-Rebellen (»Movement for the Emancipation of the Niger Delta«) um die Kontrolle im Delta und werden in ihrer Regierungskritik von Wole Soyinka, dem nigerianischen Literaturnobelpreisträger, unterstützt. Auf Michael Kambers Bildern patrouillieren sie die Flüsse, maskiert, uniformiert und mit Kalaschnikows bewaffnet, wie moderne Schutzgeister. Gestärkt, mit roten und weißen Stoffetzen, werden sie von ihrem Kriegsgott Egbesu.

»Letzte Ölung Nigerdelta. Das Drama der Erdölförderung in zeitgenössischen Fotografien«, Staatliches Museum für Völkerkunde München, noch bis zum 16.9.2012

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Juli 2012


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