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Radioaktive Kochtöpfe

Die verbreitete These, dass private Investitionen Wohlstand in arme Länder bringen und Entwicklung auslösen, wird durch das Beispiel Uranabbau im Niger widerlegt

Von Christian Felber und Karina Eckschlager

Adam Smith verstand unter internationaler Arbeitsteilung, dass jedes Land seine "natürlichen" Vorteile in der internationalen Arbeitsteilung als Trümpfe ausspielt. Der Niger hat wenige Trümpfe. Mit Wüste gewinnt man keinen Wettbewerb. Oder doch? Unter dem Sand lagert nämlich das drittgrößte Uranvorkommen der Welt. In drei Kratern kratzen rund 3.000 Minenarbeiter - Tuareg und andere Nigerer - radioaktives Erz aus der Sahel-Wüste. Allerdings nicht für afrikanische Atomkraftwerke - am ganzen Kontinent steht nur eines in Südafrika. Und auch nicht für Strom in Niger, wo 90 Prozent der Haushalte stromlos sind. Sondern für Frankreich, Deutschland, Kanada und Japan: ein Schulbeispiel globaler Ressourcen- und Arbeitsteilung.

Zwei Minen-Gesellschaften, Somaïr (Tagbau) und Cominak (die größte Untertagmine der Welt), holen seit 1970 Uranerz aus dem Boden um Arlit. Beide werden vom staatlichen französischen Nuklearunternehmen Areva geführt. Dass Frankreich die Hand auf den Uranvorkommen Nigers hat, ist ein Erbe aus der Kolonialzeit. Mit an Bord sind japanische, spanische, kanadische und deutsche Partner. Die Unternehmen aus den Industrieländern bringen jedoch nicht breiten Wohlstand nach Arlit, sondern fortschreitende Verwüstung. Aus dem Kleindorf Arlit ist durch den Zuzug von Arbeit suchenden Menschen aus ganz Afrika eine 80.000-EinwohnerInnen-Stadt geworden. Die meisten leben ohne Kanalisation und Strom. Fand man früher im Umkreis von zehn Kilometern Brennholz, muss man heute oft mehrere Tage Fußmarsch in Kauf nehmen. Der Bestand an Wildtieren geht stark zurück, ebenso die Weideflächen. Von den riesigen Abraumhalden - bisher fielen 500 Millionen Tonnen Schutt an - weht radioaktiver Staub über das Land. Das fossile Grundwasser erschöpft sich infolge des enormen Wasserverbrauchs der Minen, Brunnen um Brunnen in der Umgebung trocknet aus. Das verbleibende Grundwasser ist laut der französischen Nuklear-Watch-Organisation CRIIRAD mit Uran 238 und Radium 226 sowie mit Bergbauchemikalien verseucht. Dazu kommt, dass die Menschen radioaktive Metallteile aus den Minen als Baumaterial für ihre Behausungen und als Kochgeschirr verwenden. Es treten Hautausschläge, Leukämie, Erkrankungen von Nieren und Lungen auf. Das von Somaïr und Cominak gegründete Krankenhaus von Arlit bestreitet jeglichen Zusammenhang mit dem Uranabbau. Bis jetzt gibt es keine unabhängige Untersuchung.

Um die Arbeits- und Umweltbedingungen in den und um die Minen zu verbessern, gründete Almoustapha Alhacen, Vizebürgermeister von Arlit, die BürgerInneninitiative Aghirin'man. Von den rund 3.000 Minenarbeitern sei nur noch ein Drittel direkt bei den beiden ausländischen Konsortien beschäftigt. Zwei Drittel wären in den letzten Jahren an Subunternehmen ausgelagert worden. Nach Angaben von Areva ist das Verhältnis umgekehrt. Während die Direktangestellten rund 140.000 CFA (236 Euro) im Monat verdienen, erhalten die Beschäftigten der Subunternehmen nur rund 40.000 CFA (66 Euro). "Diese Arbeiter tragen keine Schutzkleidung und haben keinen ausreichenden Anspruch auf medizinische Versorgung", erzählt Alhacen bei einem Besuch in Wien. Aghirin'man fordert bessere Arbeitsbedingungen in der Mine und die Gleichstellung der Beschäftigten der Subunternehmen mit den Direktangestellten. Aufklärungskurse für Frauen und Jugendliche sollen über die Gefahren der Radioaktivität informieren und unabhängige Stellen den Gesundheitszustand von Arbeitern, Bevölkerung sowie das Trinkwasser untersuchen. "CRIIRAD wollte das machen, doch ihre sensiblen Messgeräte wurden am Flughafen in Niamey von der Zentralregierung beschlagnahmt", so der Vizebürgermeister. Aghirin'man fordert außerdem, dass die Stadt Arlit endlich den vertraglich zugesicherten Gewinnsteueranteil von 15 Prozent bekommt, damit die Investition tatsächlich der Bevölkerung vor Ort zugute kommt und Entwicklung auslöst.

Dieses Ziel verfolgt auch der 2003 von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen ausgearbeitete Normenkatalog für transnationale Konzerne. Er verpflichtet globale Investoren zur Einhaltung hoher Umwelt-, Sicherheits-, Gesundheits-, Arbeits- und Menschenrechtsstandards. Zudem dürfen ausländische Investoren nicht länger von korrupten Zentralregierungen profitieren. Wenn die Regierung wie in Arlit unabhängige Untersuchungen zugunsten von Unternehmen - in dem Fall Areva - unterbindet, gilt das Unternehmen als mitverantwortlich. Das bisherige Motto: "Wir machen nur das Geschäft. Was im Staat passiert, dafür können wir nichts", geht bei der UNO nicht mehr durch. Die Konzerne haften auch für Zulieferer und Subunternehmen. Die so genannten "Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations" wurden bisher allerdings nicht in gültiges Völkerrecht umgesetzt, der Widerstand globaler Unternehmensverbände ist groß.

2006 demonstrierten erstmals die BewohnerInnen von Arlit für bessere Arbeits- und Umweltbedingungen in den Uranbergwerken. Almoustapha Alhacen, selbst langjähriger Mitarbeiter im Konzern, ging mit Forderungen an die Presse und schrieb an die Direktion von Areva. Zurück kam im Mai 2007 ein Brief. Darin wurde Alhacen mitgeteilt, dass er als "disziplinäre Maßnahme" für vier Tage entlassen werde, weil er "den Interessen und dem Image des Konzerns geschadet" habe. Abdoulaye Issa, Direktor bei Areva, fordert Alhacen auf, seine Aussagen in den Medien zu widerrufen. Alhacen wird nun von Nichtregierungsorganisationen in Europa unterstützt, um auf die Zustände beim Uranabbau im Niger aufmerksam zu machen.

Der Fall Arlit zeigt, dass die internationale Arbeitsteilung auch 250 Jahre nach Smith nicht Wohlstand für alle bringt und ausländische Direktinvestitionen nicht zwingend Entwicklung auslösen.

Unterstützung und Spenden - Kontakt: astridhynek@hotmail.com

* Christian Felber ist Attac-Mitbegründer und freier Publizist. Zuletzt erschienen "50 Vorschläge für eine gerechtere Welt" bei Deuticke.
Karina Eckschlager war in der Entwicklungszusammenarbeit tätig und arbeitet für Global 2000.

Aus: Südwind Magazin 12 / 2007, Seite 21



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