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Teure Freiheit

Al-Qaida-Arm in Niger läßt vier Areva-Mitarbeiter frei. Lösegeldzahlung stärkt Islamisten und schafft Vorwand zur Repression

Von Jörg Tiedjen *

Auf den ersten Blick ist es eine lang ersehnte Nachricht: Die vier Mitarbeiter der französischen Konzerne Areva und Vinci, die seit Herbst 2010 von der radikalislamistischen »Al-Qaida im islamischen Maghreb« (AQMI) gefangengehalten wurden, sind seit Dienstag frei. Die Franzosen Daniel Larribe, Marc Féret, Pierre Legrand und Thierry Dole waren am frühen Morgen des 16. September 2010 zusammen mit Larribes Frau Françoise sowie zwei weiteren Leidensgenossen in Arlit im Nordwesten Nigers entführt worden. Letztere drei kamen bereits im Februar 2011 frei. In Arlit befindet sich eine von Areva unterhaltene Uranmine, Vinci agiert dort als Anlagenbauer.

Für die Freilassung der Geiseln hatte AQMI einen Gefangenenaustausch, die Rücknahme des Kopftuchverbots in Frankreich sowie 90 Millionen Euro Lösegeld verlangt. Die jetzige Erfolgsnachricht traf deswegen nicht auf ungeteilte Freude. Zwar beeilten sich offizielle Stellen, das Ende des Geiseldramas als reinen Verhandlungserfolg darzustellen, und stritten ab, daß man die Forderungen der Entführer erfüllt habe. Da es aber keinen Gefangenenaustausch gab und auch das Schleierverbot bestehen bleibt, liegt es nahe, daß sehr wohl Lösegeld gezahlt wurde. Die französische Tageszeitung Le Monde berichtete am Mittwoch, daß die Entführer »über 20 Millionen Euro« erhalten hätten. Der Radiosender RFI bestätigte dies unter Berufung auf eine Quelle, die dem nigrischen Verhandlungsführer »sehr, sehr nahe« stehe. Das Geld habe der französische Geheimdienst DGST im Austausch gegen die GPS-Koordinaten der Geiseln in der Wüste deponiert.

Schlechte Erinnerungen werden wach, hatten doch mehrere europäische Regierungen, darunter die deutsche, AQMI in den vergangenen zehn Jahren immer wieder Millionen-Lösegelder zukommen lassen. Es dürften nicht zuletzt diese Mittel gewesen sein, die den Islamisten 2012 zu einem ihrer größten Erfolge verhalfen. Im Anschluß an die Revolte der Tuareg-Separatisten der »Nationalbewegung für die Befreiung von Azawad« (­MNLA) übernahmen sie gemeinsam mit anderen Dschihadisten-Gruppen die Kontrolle über den Norden des Nachbarlands Mali. Die Lage ist dort – wie im Niger – nach wie vor angespannt. Areva weigert sich derweil weiter hartnäckig, den Forderungen der Bevölkerung im Niger entgegenzukommen, die Schutz vor den katastrophalen Auswirkungen des Uranbergbaus und eine Beteiligung an den Gewinnen verlangt. Der Konflikt wird so weiter angeheizt. Das Geiseldrama diente dem Atomkonzern dennoch als Anlaß, unter Hinweis auf die Bedrohung durch AQMI die Eröffnung einer weiteren Mine bei Imouraren hinauszuzögern. Areva dürfte das aufgrund des Kollaps auf dem Uranmarkt nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima recht gewesen sein. Dem Niger jedoch entgingen Einnahmen, mit denen das verarmte Land fest gerechnet hatte.

Die Verträge sollen nun neu verhandelt werden. Bürgerrechtler demonstrieren seit Wochen, um den nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou zu drängen, sich gegenüber dem Konzern unnachgiebig zu zeigen. Im vergangenen Winter war bekannt geworden, daß Areva ihm als »Entschädigung« für Imouraren ein neues Flugzeug schenken wollte. Wenn in dieser Situation AQMI mit Millionenbeträgen überschüttet wird, liegt der Verdacht nahe, daß einmal mehr die Dschihadisten-Karte gespielt werden soll. Die verschärften »Sicherheitsmaßnahmen«, die so gerechtfertigt werden, richten sich jedoch nur vordergründig gegen AQMI. Hauptadressat ist die protestierende Bevölkerung.

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. November 2013


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