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Streit um Staatsform

Nepals Parteien weiter uneins über zentrale Fragen staatlicher Neuordnung. Nachwahl am Wochenende

Von Thomas Berger *

Am Sonntag finden in Nepal Nachwahlen für die Verfassunggebende Versammlung statt. Nötig ist das, weil bei der ersten Abstimmung im November 2013 mehrere Politiker in zwei Wahlkreisen gleichzeitig angetreten waren – und gewonnen hatten. Die Nachwahl gilt nun auch als Indikator der politischen Kräfteverhältnisse im Land. Während die Koalitionsregierung unter dem greisen und gesundheitlich angeschlagenen Premier Sushil Koirala zwischen dem seinerzeit siegreichen sozialdemokratischen Nepali Congress (NC) und den Vereinten Marxisten-Leninisten (UML) bislang relativ geräuschlos und störungsfrei agiert, sind die zentralen Konfliktpunkte zwischen den vier wichtigsten politischen Kräften Nepals weiter nicht ausgeräumt.

In der Verfassunggebenden Versammlung stritten der NC und das linke Lager jüngst beispielsweise über die künftige Staatsform. Sowohl die mitregierende UML als auch die Vereinigte Kommunistische Partei Nepals-Maoistisch (UCPN-M) als größte Oppositionsfraktion setzen sich für ein direkt gewähltes Staatsoberhaupt mit umfassenderen Vollmachten ein. Der NC spricht sich dagegen für das bisher geltende Modell aus, das dem Premier die größte Entscheidungsbefugnis in der Regierung zugesteht. Der Präsident hat dabei nur eine repräsentative Funktion.

Geht es um die föderale Neustrukturierung des südasiatischen Landes, wollen zudem die Madhesi-Parteien als Interessenvertretung der teils indischstämmigen Bevölkerung in der südlichen Tieflandsregion mitreden. Aber in den Hochgebirgsregionen kämpfen lokal verwurzelte Parteien dagegen, daß die dortigen Siedlungsgebiete durch neue Provinzgrenzen geteilt werden. Sowohl bei der Staatsform als auch in der Föderalismusfrage ist eine Lösung im Rahmen des Zeitplans, der die Vorlage einer neuen Verfassung binnen eines Jahres nach der Wahl vorsieht, nicht in Sicht. Dafür gibt es in einer anderen Angelegenheit endlich Bewegung: Die Regierung hat ein Findungsgremium berufen, das Kandidaten für die Besetzung zweier Sonderkommissionen vorschlagen soll. Das Gesetz über die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission sowie einer Kommission für die Untersuchung von Fällen »verschwundener« Personen während des Bürgerkrieges zwischen der maoistischen Guerilla und Regierungstruppen (1996-2006) wurde vor einem Monat verabschiedet. Das Findungskomitee für die Besetzung der Kommissionen wird nun vom früheren Chefrichter Ombhakta Shrestha geleitet. Wie am Montag in Kathmandu verlautete, soll die Kandidatenliste vermutlich in 15 bis 20 Tagen stehen.

Unterdessen hat die UCPN-M eine »Arbeitsallianz« mit vier weiteren Linksparteien gegründet, die die Wahlen im vergangenen Jahr boykottiert hatten. Das Bündnis will die Regierung dazu drängen, sich mit Fragen der Armutsbekämpfung im Land zu beschäftigen. Wie der Parteivorsitzende Pushpa Kama Dahal sagte, könnten sich die Allianzpartner später vereinigen. Bei drei der vier anderen Parteien handelt es sich um frühere Abspaltungen der UCPN-M, darunter die Kommunistische Partei Nepals-Maoistisch (CPN-M) von Mohan Baidya, einst zweiter Stellvertreter Dahals.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Juni 2014


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