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Weiter im alten Stil

Nepal: Parteien lassen Frist zur Ausarbeitung einer Verfassung verstreichen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die maßgeblichen Parteien in Nepal haben die erste Frist für die Ausarbeitung einer Verfassung verpaßt. Am 6. September sollte die erste Etappe des Prozesses abgeschlossen sein. Das Grundgesetz soll am 22. Januar 2015 in Kraft treten. Die Positionen der Regierungsparteien, dem Nepali Congress (NC) und der Kommunistischen Partei Nepals (Vereinte Marxisten-Leninisten), sowie der oppositionellen Vereinten KP Nepals (Maoistisch) und der Parteien der Madhesi-Terai-Region liegen jedoch weit auseinander. Eine Einigung ist nicht in Sicht. Hauptstreitpunkte sind die künftige Form der Regierung, das Wahlsystem, die Struktur des Föderalismus und die Gerichtsbarkeit.

An der Formulierung einer neuen Verfassung war bereits die 2008 gewählte erste Volksvertretung, die fünf Jahre Bestand hatte, gescheitert. Zur Verwaltungsstruktur des Bundesstaates und in der Frage, ob das politische System präsidial oder parlamentarisch organisiert sein soll, drohen die Parteien nun auch unter der seit Februar dieses Jahres amtierenden Regierung von Premierminister Sushil Koirala keinen gemeinsamen Nenner zu finden.

Die Regierungsparteien plädieren dafür, über die Streitpunkte im Parlament abstimmen zu lassen. In dem Gremium, das gleichzeitig die verfassunggebende Versammlung darstellt, verfügen sie über eine Zweidrittelmehrheit. Doch die Opposition stellt sich quer und fordert mehr Zeit für Debatten im Kreis der Hauptparteien. Das hat in der Vergangenheit wiederholte Fristverlängerungen ausgelöst und letztendlich in die Sackgasse geführt. Sechs Jahre nach dem Sturz der Monarchie hat der Himalaja-Staat noch immer lediglich ein provisorisches Grundgesetz. Das Mißtrauen zwischen den politischen Hauptkräften sitzt tief. Der Friedensprozeß bleibt unvollendet. Aus den Parlamentswahlen im November 2013 gingen der Nepali Congress und die Marxisten/Leninisten zwar als Sieger hervor. Die bis dahin regierenden Maoisten erlitten eine eklatante Niederlage. Am Tauziehen um die Macht auf der politischen Bühne hat das jedoch nichts geändert. Der gesundheitlich angeschlagene NC-Premier Koirala erweckt nicht den Eindruck, sich durchsetzen zu können.

Staatspräsident Ram Baran Yadav hatte nach der Parlamentswahl im Herbst 2013 erklärt, Nepal müsse der Welt beweisen, daß es in der Lage ist, eine Verfassung auszuarbeiten. Gegenwärtig scheinen die Politiker jedoch eher dem alten, untauglichen Konzept der Vertagung und Verschleppung klarer Entscheidungen folgen. Dabei würde mit der Verabschiedung der Verfassung eine solide Grundlage für effektives Regieren geschaffen und der Friedensprozeß abgeschlossen werden. Dieser war im Jahre 2006 nach einem zehn Jahre währenden Krieg zwischen der maoistischen Guerilla und der königlichen Armee eingeleitet worden. 2008 mußte König Gyanendra abdanken. Die Republik wurde ausgerufen. Aus den ersten demokratischen Wahlen ging die verfassunggebende Versammlung hervor. Seitdem warten die 27 Millionen Nepalesen auf einen klaren politischen Kurs und vor allem auf soziale Verbesserungen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 11. September 2014


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