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Riskante Jobsuche

Immer mehr Nepalesen suchen im Ausland Ausweg aus Armut. Ihre Überweisungen machen bereits ein Viertel der Wirtschaftsleistung aus

Von Thomas Berger *

Arbeitsmigranten im Ausland bringen Geld in den heimischen Kreislauf. Nepal ist auf diese Überweisungen ebensostark angewiesen wie zahlreiche andere Staaten Afrikas und Asiens. Auf das Volumen von rund einem Viertel des Bruttoinlandsproduktes (Wirtschaftsleistung, BIP) sind die sogenannten Remittances in den zurückliegenden Jahren angewachsen. Damit spielen diese Transfers inzwischen eine größere Rolle als viele etablierte Wirtschaftsbranchen. Hinter den nackten Zahlen verbergen sich Licht und Schatten. Im Jahr 2012 war der Geldzustrom aus den Löhnen der Arbeitsmigranten auf 434,58 Milliarden Rupien (fast 3,3 Milliarden Euro) gestiegen. Nepal verschaffte das in der Statistik einen Sprung um zwei Plätze auf Rang drei der Länder, die am stärksten von den Transfers profitieren und zugleich abhängig sind. Doch nur ein Teil jener, die sich in der Fremde verdingen, tut dies auf offiziellen und damit halbwegs abgesicherten Wegen. 83638 staatliche Arbeitserlaubnisse für Männer und 5063 für Frauen wurden 2013 neu erteilt. Zudem haben 16456 Männer und 207 Frauen solche Bescheinigungen erneuert. Ganz oben auf der Liste der Zielländer stehen Malaysia (34806 Neuanträge) und Katar (22438) bei den Männern, während weibliche Arbeitskräfte vor allem in den Vereinten Arabischen Emiraten (1144) und Kuwait (2240) gefragt waren, in der Regel als Hausangestellte.

Diese offizielle Statistik der Behörde für Auslandsbeschäftigung ist nur ein Teil der Geschichte. Viele Arbeitsmigranten gelangen indes auf sehr unsicheren Wegen zu einem Job. Laut Rohan Gurung, Generalsekretär des Dachverbandes Manpower Association Nepal, haben kaum 150 Vermittlerfirmen eine formelle Anerkennung durch die Regierung. Schätzungsweise 15000 bis 20000 Agenturen gibt es insgesamt. Die meisten davon scheuen entweder die 200000 Rupien (1500 Euro), die für eine Registrierung an Gebühren anfallen. Oder sie wollen sich von staatlicher Seite nicht bei ihrem Geschäftsgebaren in die Karten schauen lassen.

Die Regierung hat unlängst verfügt, daß den »Kunden« der Vermittler höchstens 80000 Rupien (600 Euro) für einen verschafften Auslandsjob in Rechnung gestellt werden dürfen. Oft werden aber umgerechnet mehrere tausend Euro kassiert – wer diese nicht im Vorfeld zahlen kann, stottert die Schuld (womöglich noch um Zinsen erhöht) von seinem Verdienst ab. Die Vermittlung ist ein riesiger, nahezu unkontrollierter Sektor geworden. Jahrelang hat die Regierung sowohl uninteressiert als auch hilflos dessen Wachsen zugeschaut. Die innenpolitische Dauerkrise mit häufigen Selbstblockaden des politischen Establishments im Himalajastaat ließ das Thema auf der Agenda ziemlich weit nach hinten rutschen. Und auch die Registrierung der Agenturen bietet allein keine Gewähr für regelkonformes Verhalten. Effektive Kontrollen fehlen fast völlig, und Bestechlichkeit der Beamten ist auch in Nepal nicht selten.

Extraausgaben für Schmiergeld müssen sich etliche Geschäftemacher erst gar nicht leisten. Die Mittelsmänner sind ganz direkt in den Ortschaften unterwegs, wo es genügend Kundschaft gibt, die mit einem gutbezahlten Job in den Golfstaaten oder Malaysia der weitverbreiteten Armut in der Heimat entkommen will. Solche Menschen fragen selten kritisch nach. Folgen dessen sind nicht nur eine finanzielle Abhängigkeit von den Vermittlern, sondern auch weitgehende Unsicherheit und Rechtlosigkeit im Gastland. Ohne eine auf offiziellem Wege erlangte Arbeitserlaubnis ist es beispielsweise nahezu aussichtslos, den »Arbeitgeber« zu wechseln. Das hat Som Prasad Lamichhane von der Organisation Pravasi Nepali Coordination Committee (PNCC), der heute andere Arbeitsmigranten berät und unterstützt, als Heimkehrer aus Saudi-Arabien einst selbst erfahren. Auch eine Absicherung bei Unfällen, Krankheit oder vorzeitiger Entlassung fehlt. Wer vor dem vereinbarten Ende der Anstellung zurückwill, hat ebenfalls schlechte Karten. Bei den schwarz vermittelten Jobs behalten die Kontaktpersonen vor Ort nicht selten die Papiere der ihnen anvertrauten Migranten ein.

Der Weltbank zufolge haben sich seit 2006 die Heimatüberweisungen der Nepalesen verdreifacht. Dahinter steht auch eine entsprechend höhere Zahl von Arbeitsmigranten. Manche sterben in der Fremde – die Rückholung ist dann eine finanzielle Zusatzbelastung für die betroffenen Familien, sofern diese nicht dank offizieller Arbeitserlaubnis wenigstens eine staatliche Beihilfe beantragen können.

Die neue Regierung hat am 12. Februar ein Aktionsprogramm aufgelegt: Daten bis hin zur Ausstellung von Pässen sollen zur besseren Kontrolle künftig elektronisch erfaßt, behördeninterne Strukturen verbessert und mit einer breiten Aufklärungskampagne landesweit potentielle Arbeitsmigranten auf Risiken hingewiesen werden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Februar 2014


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