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Nepal im Wandel

Interimsverfassung und Installation eines Übergangsparlaments machen die Monarchie zum Auslaufmodell

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

In der nepalischen Hauptstadt Kathmandu ist alles vorbereitet, am heutigen Montag zwei historische Schritte zu vollziehen: die Interimsverfassung in Kraft zu setzen und bis zu den Wahlen für eine verfassunggebende Versammlung ein Übergangsparlament zu installieren. Damit findet der im April mit der Entmachtung von König Gyanendra eingeleitete Wandel einen vorläufigen Höhepunkt. Pushpa Kamal Dahal »Prachanda«, der Chef der KPN (Maoistisch), hatte mit einer neuen Volkskampagne gedroht, wenn die Regierung nicht bis Mitte Januar die Interimsverfassung annimmt.

Was vor Jahresfrist noch undenkbar schien, wird nun nepalischer Alltag. Im Parlament nehmen 83 Abgeordnete der KPN (M) Platz, eben jener Partei, die zehn Jahre lang mit ihren Guerillakommandos die Monarchie bekämpfte und maßgeblich dazu beitrug, daß deren Tage gezählt sind. In ihrer ersten Sitzung im Juni wollen die Abgeordneten der verfassunggebenden Versammlung endgültig über das Schicksal der Monarchie entscheiden. Die Mehrheit des Volkes, so glauben die Maoisten, will eine demokratische Republik.

Das Einschwenken der Maoisten in den »politischen Hauptstrom« wurde nach zähen Verhandlungen im November vorigen Jahres mit dem Abschluß eines Friedensabkommens möglich. Der zentrale Punkt darin war für die Allianz aus sieben politischen Parteien (SPA) der Verzicht der KPN(M) auf Gewalt und ein verbindliches »Waffenmanagement«. Mit dessen Überwachung haben UNO-Soldaten begonnen. Erst wenn dieser Teil des Abkommens komplett in die Praxis umgesetzt ist, werden die Maoisten mit zehn Mitgliedern in die Regierung eintreten. Das setzte Premier Girija Prasad Koirala durch. UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat gerade bekräftigt, daß die Stationierung von 186 unbewaffneten, aktiv dienenden und ehemaligen Offizieren als Kontrolleure des »Waffenmanagements« (Überwachung der Arsenale der Guerilla und der Armee sowie der Kasernierung des Militärs beider Seiten) beschleunigt werden soll. Außerdem werden zwei UNO-Teams für die Vorbereitung und Nachbereitung der Wahlen sowie als Ordner für die Registrierung der Wähler, die Wahlkampagne und den Urnengang nach Nepal geschickt.

Am Montag abend wird das 330 Mitglieder umfassende Parlament eine neues Bild bieten. Neben 209 verbleibenden Abgeordneten nehmen erstmals 83 von den Maoisten ausgewählte Repräsentanten vorwiegend benachteiligter sozialer Schichten ihren Platz ein, darunter 29 Frauen (im alten Parlament war es insgesamt nur ein Dutzend), 23 Angehörige der ethnischen Minderheit der Janajatis, 20 Mahadeshis aus dem Terai-Agrargebiet und elf Dalits (Unberührbare), die noch nie im Parlament vertreten waren. Aus der Führungsspitze der KPN(M) zieht nur Parteisprecher Krishna Bahadur Mahara in die Volksvertretung. Alle anderen Topleute verzichteten und wollen sich auf die Stärkung der Parteistruktur konzentrieren. Mit ihren Abgeordneten wird die KP für frischen Wind in der politischen Szene sorgen. Das wird auch nötig sein, denn die Anhänger der Monarchie haben die Hände nicht in den Schoß gelegt. Mitte voriger Woche schlossen sich drei promonarchistische Parteien zur RPP-Nepal (Rashtriya Prajatantra Party) zusammen. Auch Premier Koirala favorisiert einen zeremoniellen König.

Die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung sollen nach soeben im Regierungssprachrohr The Rising Nepal veröffentlichten Aussagen von Innenminister Krishna Prasad Sitaula für die Zeit vom 29. Mai bis 3. Juni angesetzt sein. Diese Versammlung würde dann auch eine neue Verfassung ausarbeiten lassen. Unterdessen äußerte sich Chandra Prakash Gajurel, der KPN(M)-Sekretär für internationale Fragen, zur Außenpolitik der Partei. Sie werde auf Versöhnung und friedlicher Koexistenz beruhen. Man werde auch jenen vergeben – gemeint waren vor allem die USA –, die die Maoisten als Terroristen brandmarkten, das Friedensabkommen und den Einzug der Maoisten ins Parlament verhindern wollten. Zu maoistischen Gruppen im Ausland, so Gajurel, werde es ideologische Verbindungen, aber keine »working relations« (Arbeitsbeziehungen) geben.

* Aus: junge Welt, 15. Januar 2007


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