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Wichtige Durchbrüche in Nepal

Friedens- und Verfassungsprozess kommt wieder auf Touren

Von Thomas Berger, Kathmandu *

In den festgefahrenen Friedens- und Verfassungsprozess Nepals kommt wieder Bewegung. Übers Wochenende wurden zwei wichtige Hürden aus dem Weg geräumt, um die Frist für den Abschluss der Arbeit an einer neuen Verfassung – den 27. Mai – doch noch einhalten zu können.

Hoffnung ist keine hohle Phrase mehr im Himalajastaat. Die in den letzten Tagen erzielten Durchbrüche lassen zwar einige weitere Streitpunkte unberührt, beweisen aber, dass die großen Parteien nach langem Stillstand und gegenseitigen Schuldzuweisungen noch zu Kompromissen bereit sind. Solche wurden jetzt in zwei wichtigen Fragen gefunden: Es geht um die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC), die Menschenrechtsverletzung während des Bürgerkriegs zwischen der Armee und den maoistischen Rebellen aufarbeiten soll, und um die Eingliederung früherer Kämpfer der maoistischen Volksbefreiungsarmee (PLA) in die nationalen Streitkräfte.

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission, von einem pensionierten Juristen geleitet, soll binnen zwei Jahren Fälle von Mord, Folter, Vergewaltigung, Entführung und Geiselhaft zwischen 1996 und 2006 untersuchen. Weder soll es eine Generalamnestie geben noch müssen solche Vergehen prinzipiell strafrechtlich geahndet werden. Stattdessen wird einer Aussöhnung Vorrang eingeräumt. Sofern die Opfer den Tätern auf der Basis echter Reue und einer Entschädigung vergeben, soll der jeweilige Konflikt als beigelegt gelten.

Kommt kein solcher Vergleich zustande, ist eine juristische Strafverfolgung bindend. Zwar hat auch die Volksbefreiungsarmee in ihrem zehnjährigen Untergrundkampf Aktivisten rivalisierender Parteien oder mutmaßliche Informanten der Streitkräfte getötet. In weit größerem Umfang aber war es die reguläre Armee, die im Rebellengebiet brutal gegen alle vorging, die sie der Zusammenarbeit mit den Maoisten verdächtigte. Selbst Lehrerinnen und Schüler wurden blindwütig erschossen, andernorts wurden Dorfbewohnerinnen vergewaltigt.

Eine Form nationaler Aussöhnung ist die Aufnahme von höchstens 6500 ehemaligen Rebellen in die Reihen der Armee. Viele vormalige Kämpfer haben die PLALager schon verlassen. Die verbliebenen 9700 sollen sich jetzt nochmals zwischen Wiedereingliederung ins zivile Leben oder Übernahme durch die Armee entscheiden können. Einer der PLAKommandeure soll als Oberst Mitglied des Generalstabs werden. Zuvor hatte man den Maoisten allenfalls einen Offizier im Majorsrang zugestehen wollen.

Vertreter der streitenden Parteien – der Vereinten Kommunistischen Partei Nepals-Maoistisch (VKPN-M), des bürgerlichen Nepali Congress (NC) und der Vereinten Marxisten-Leninisten (VML) – betonten mit neuer Zuversicht, dass auch in anderen strittigen Punkten eine Lösung erzielt werden könne. Der Oberste Gerichtshof hatte in der Vorwoche noch einmal bekräftigt, dass das Mandat der Verfassunggebenden Versammlung als Übergangsparlament nicht über den 27. Mai hinaus verlängert werden dürfe. Gibt es bis dahin keine neue Verfassung, seien nur Neuwahlen, ein Referendum oder ein nicht näher bezeichneter dritter Weg möglich.

Mit Hochdruck wollen die Streithähne nun also die übrigen Hemmnisse angehen. Ungeklärt ist vor allem noch die Frage, ob Nepal künftig eine parlamentarische oder eine Präsidialrepublik sein soll. Strittig ist überdies die konkrete Form des Föderalismus mit acht bis 14 halbautonomen Teilstaaten.

Die in Koalition mit der VKPN-M regierende Front von fünf Madhesi-Parteien veranstaltete am Sonnabend (31. März) erstmals eine große Kundgebung in der Hauptstadt. Ohne eine föderale Struktur auf der Basis von Volksgruppenidentität sei keine Verfassung möglich, mahnten die Interessenvertreter der Bewohner des südlichen Flachlandstreifens an der Grenze zu Indien. Seit mindestens 22 Jahren, hieß es, warteten die Madhesi auf gleichberechtigte Teilhabe.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. April 2012


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