Schwierige Hausaufgaben
In Nepal gibt es immer noch keinen Entwurf für eine neue Verfassung
Von Hilmar König *
Nepals Opposition, allen voran die bürgerliche Partei Nepali Congress (NC), verlangt den Rücktritt von Premierminister Baburam Bhattarai. Sie beschuldigt ihn, er habe keine Impulse für den Friedensprozeß und für die Fertigstellung des Verfassungsentwurfs gegeben. Der Regierungschef lehnt diese Forderung ab und bewertet sie als »Verschwörung, das Land zu destabilisieren.« Am 27. Mai läuft die bereits viermal verlängerte Frist für den Verfassungskonvent, das provisorische Parlament, ab. Bis dahin muß der Friedensprozeß abgeschlossen sein und die neue Verfassung vorliegen. Der höchste Gerichtshof hat erklärt, es werde keine weitere Verlängerung des Mandats der Volksvertretung geben. Werde der Stichtag nicht eingehalten, so gebe es nur die Optionen Neuwahlen oder Referendum.
Eigentlich sollte der Friedensprozeß aus mehreren Elementen bestehen, z.B. einer provisorischen Gerichtsbarkeit, Rückgabe von während des Krieges konfisziertem Eigentum, Bodenreform, Demokratisierung des nepalesischen Militärs sowie Integration der knapp 20000 einstigen Kämpfer der maoistischen Volksbefreiungsarmee in die regulären Streitkräfte bzw. deren soziale Rehabilitierung. Nur dieser letzte Punkt zählt heute als den Friedensprozeß charakterisierend. Kein Wunder, daß er in der zerrissenen Parteienlandschaft Nepals seit Jahren heftig umstritten ist. Erst im November 2011 einigten sich die politischen Kontrahenten darauf, 6500 ehemalige maoistische Guerilleros in ein spezielles »Direktorat« der Streitkräfte zu übernehmen. Die Kämpfer wurden in drei Gruppen eingeteilt – jene, die in die Armee integriert werden wollten, jene, die sich mit einer ordentlichen finanziellen Abfindung fürs zivile Leben entschieden, und ein kleiner Rest, der für Rehabilitationsmaßnahmen optierte.
Das waren wichtige Schritte. Doch der gesamte Prozeß ist immer noch nicht abgeschlossen, da tiefe Meinungsverschiedenheiten über Dienstränge für die ehemaligen Guerilleros, über Normen und Standards für ihre praktische Eingliederung bestehen.
Da es bei diesem Problem noch keinen Durchbruch gegeben hat – der NC und die KP Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten) wiesen gerade neue Vorschläge des Premiers zurück -–, kommen wegen des tiefsitzenden Mißtrauens auch die Arbeiten am Verfassungsentwurf nicht wie erforderlich voran. Dabei sind zwei äußerst harte Nüsse zu knacken: Welche Form soll eine künftige Regierung haben? Und wie soll der Staat strukturiert sein? Die Vereinte KP Nepals (Maoistisch) verlangt ein Präsidialsystem, in dem das Staatsoberhaupt direkt gewählt wird und die Vollmachten eines Regierungschefs besitzt. Die Maoisten wollen keine parlamentarische Form akzeptieren, gegen die sie zur Zeit der Monarchie zehn Jahre lang erbittert gekämpft haben. Dem NC schwebt aber gerade ein solches bürgerlich-parlamentarisches System vor. Die KPN(VML) favorisiert einen direkt gewählten Premier und einen konstitutionellen Staatspräsidenten. Wie ein Kompromiß aussehen könnte, zeichnet sich noch nicht ab.
Kontrovers debattiert wird auch das andere Problem: die Gliederung des Staates. Eine Mehrheit will einen Bundesstaat, der aus elf Provinzen besteht. Diese sollen im wesentlichen der jeweils in diesem Gebiet dominierenden ethnischen Gruppe Rechnung tragen. Bislang benachteiligte Gemeinschaften, beispielsweise Indigene, würden damit Mitspracherechte erhalten und ihre eigene kulturelle Identität pflegen können. Nicht nur aus den bisher herrschenden ethnischen und Kastengruppen kommt Widerstand gegen eine derartige Gliederung. Die Frage ist auch, ob oder wie solche Provinzen ökonomisch überleben. Auf alle Fälle wird die Provinzenbildung die starken Forderungen jener Ethnien zu berücksichtigen haben, die in der Vergangenheit an den Machtstrukturen nicht beteiligt wurden.
* Aus: junge Welt, 16. März 2012
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