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Schwerer Neustart

Die politischen Parteien in der jungen Republik Nepal liefern sich einen erbitterten Machtkampf

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die verfassunggebende Versammlung Nepals kommt nicht voran. Bei ihrer zweiten Sitzung trennten sich die Abgeordneten am Donnerstag in Kathmandu nach nur einer Stunde. Eines der Probleme ist, daß das Land zwei Monate nach den Wahlen vom 10. April noch immer keine neue Koalitionsregierung hat. Zwar wurde die Monarchie am 28. Mai abgeschafft. Die drängenden politischen Probleme aber harren ihrer Lösung.

»Wir brauchen mehr Zeit, die komplizierten Aufgaben zu erledigen«, gestand am Mittwoch der maoistische Politiker Mohan Baidya ein. Allein in dieser Analyse scheinen gegenwärtig die größten Parteien übereinzustimmen: die Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch), der Nepali Congress (NC) sowie die Kommunistische Partei Nepals/Vereinte Marxisten und Leninisten (VML).

Bei mehreren zentralen Themen sehen sich die Maoisten im Konflikt mit der NC-VML-Allianz. Sie können sich nicht auf die Regierungsbildung einigen, obwohl das Recht dazu zweifellos die KPN(M) als stärkste Fraktion hat. Damit verbunden ist das zweite Problem: Es fehlt eine klare Definition, welche Funktionen der künftige Premier und der Präsident ausüben soll. Die Maoisten befürworten ein repräsentatives Amt für das Staatsoberhaupt, während die Entscheidungen vom Regierungschef getroffen werden sollen. NC und VML hingegen wollen keinen Präsidenten, der nur abnickt, was der --wahrscheinlich maoistische -- Premier ihm vorgibt. Die Maoisten wiederum sehen nicht ein, warum der jetzige Premier der Interismregierung, Girija Prasad Koirala, unbedingt für den Posten des Präsidenten nominiert werden soll. Sie erheben Anspruch auf beide Ämter.

Dissens gibt es auch in der Frage, ob der künftige Premier mit einfacher Mehrheit des Verfassungskonvents, der vorläufig als Parlament fungiert, abgewählt werden kann. NC und VML sehen darin eine »Stärkung des demokratischen Prozesses«. Tatsächlich befürchten sie wohl eine Etablierung der maoistischen Herrschaft. Bislang war eine Zweidrittel-Mehrheit für die Abwahl des Premiers erforderlich. Und schließlich hält das Tauziehen um die 26 Abgeordneten an, die von der Regierung für die verfassunggebende Versammlung zu benennen sind.

Der Machtkampf um die Kontrolle der neuen politischen Strukturen ist also im vollen Gange. Der NC appellierte bereits an seine Anhänger und Sympathisanten, sich auf einen möglichen Kampf gegen den »Totalitarismus« der Maoisten vorzubereiten. Die Partei hat für Sonntag eine Großkundgebung in Kathmandu angekündigt. Pushpa Kamal Dahal Prachanda, der Chef der KPN(M), will seinerseits die Bevölkerung zu Straßenprotesten aufrufen, wenn die bürgerlichen Parteien die Machtübergabe an seine Partei weiterhin verzögern. Er schloß auch einen Rückzug aus der von Koirala geführten Interimsregierung nicht aus.

Einigkeit herrscht nur bei der Frontstellung gegen »äußere Feinde«: Die Indische Volkspartei sowie der fundamentalistische Welthindu-Rat (VHP) hatten Nepals Wandel zu einem säkularen Staat als »negative Entwicklung« bezeichnet. Zugleich behaupteten sie, die Maoisten hätten kein Mandat vom Volk erhalten. Auch wenn das nicht die offizielle Position Neu-Delhis ist, hat Prachanda in den letzten Wochen mehrmals erklärt, man werden die Beziehungen zwischen Nepal und Indien sorgfältig überprüfen.

* Aus: junge Welt, 6. Juni 2008


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