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Nichts geht mehr

Generalstreik in Nepal. Polizei setzt Schlagstöcke, Tränengas und Wasserwerfer gegen maoistische Aktivisten ein

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Leergefegte Straßen. Kein Autoverkehr. Büros, Schulen, Colleges, Märkte und Fabriken geschlossen. Hier und da Gruppen maoistischer Aktivisten, rote Parteiwimpel schwenkend. Nicht nur in der Hauptstadt Kathmandu, sondern überall in der Himalajarepublik Nepal bot sich in den beiden vergangenen Tagen ein solches Bild. Die Vereinte KP Nepals (Maoistisch) und ihre Massenorganisationen hatten einen dreitägigen Generalstreik ausgerufen - der Höhepunkt ihrer Protestkampagne, mit der sie die »zivile Oberhoheit« sichern und die Bildung einer von ihr geführten Regierung der nationalen Einheit durchsetzen will.

Der am Sonntag (20. Dez.) friedlich begonnene Generalstreik geriet bereits nach kurzer Zeit außer Kontrolle, als Polizei und Demonstranten aneinandergerieten, Steine flogen und die Ordnungshüter Wasserwerfer, Schlagstöcke und Tränengas einsetzten. Allein am Sonntag wurden mehr als 120 Personen festgenommen. Auch der Montag verlief nicht gewaltlos. Das UN-Büro für Menschenrechte sah sich veranlaßt, zur Zurückhaltung aufzurufen und sprach von »Anwendung exzessiver Gewalt« seitens der Polizei. Die Koalitionsregierung beschuldigte die Maoisten, mit der bis Dienstag dauernden Streikaktion das Friedensabkommen von 2006 zu verletzen.

Ihrer Protestkampagne, zu der Massenkundgebungen und Demonstrationen, Streiks und Straßenblockaden sowie der Boykott des Verfassungskonvents (Parlament) und die Proklamation autonomer Bundesstaaten gehörten, haben die Maoisten im Dezember noch mehr Nachdruck verliehen. Auslöser dafür war eine Kontroverse mit Staatspräsident Ram Baran Yadav. Er hatte im Frühjahr einer Entscheidung der damaligen maoistischen Regierung zur Entlassung des widerspenstigen, inzwischen pensionierten Armeechefs Rukmangad Katawal nicht zugestimmt. Nach dem Verständnis der Maoisten war das verfassungswidrig und unterminierte die »zivile Oberhoheit« des Staates.

Wie geplant, rief die VKPN (M) Ende voriger Woche 13 Bundesstaaten aus, darunter »Newa« im Kathmandu-Tal. Er umfaßt die Hauptstadt sowie die Städte Bhaktapur und Lalitpur. Die Proklamationen werden von der aus 22 politischen Parteien bestehenden Regierungskoalition, deren Kern die KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) und der bürgerliche Nepali Congress bilden, nicht anerkannt. Sie verschärfe die »politische Konfrontation«, äußerte Premier Madhav Kumar Nepal. Sie verletze die Interimsverfassung, das Friedensabkommen von 2006, die Prinzipien des Verfassungskonvents und verzögere die Ausarbeitung einer neuen Konstitution.

Überraschend gab es mitten in der politischen Krise in der vorigen Woche doch einen Lichtblick. Regierung, VKPN (M) und die UNO beschlossen einen Aktionsplan für die seit drei Jahren kasernierten minderjährigen ehemaligen Kämpfer der maoistischen Volksbefreiungsarmee. Sie werden entlassen und sozial rehabilitiert. Die Entlassungen sollen am 27. Dezember beginnen und innerhalb von 40 Tagen abgeschlossen sein. Betroffen sind rund 3000 Minderjährige, die nicht in die Streitkräfte Nepals übernommen werden. Allerdings ist das große Problem der Eingliederung ehemaliger Mitglieder der maoistischen Guerilla in die Armee Nepals damit noch nicht geklärt. Das bleibt einer der Streitpunkte zwischen Regierung und Armee einerseits und der oppositionellen VKPN (M).

* Aus: junge Welt, 22. Dezember 2009


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