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Ruhe vor dem Sturm in Nepal?

Bevölkerung bleibt auch nach Kommissionsbericht über den Königsmord skeptisch

Den folgenden Beitrag entnahmen wir der jungen welt vom 18. Juni 2001

Spannung am Wochenende in der nepalischen Hauptstadt nach der Veröffentlichung des Berichts der Untersuchungskommission zum Königsmord vom 1. Juni. Niemand wagt zu behaupten, daß die Bevölkerung die Resultate der Untersuchung akzeptiert hat. An der Oberfläche scheint es vorerst so. Doch vorsichtshalber waren Armee und Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Uniformen beherrschten das Bild in Kathmandu. Als Begründung dafür mußte herhalten, die Regierung verfüge über Erkenntnisse, daß im Verlaufe der vergangenen Woche erstmals maoistische Rebellen in beträchtlicher Anzahl in die Hauptstadt eingesickert seien. Man befürchte von ihnen inszenierte Unruhen.

Mit dem Resultat der von König Gyanendra angeordneten Untersuchung wurde das Kapitel »Tragödie im Palast« offiziell zu den Akten gelegt. Die erste gleich nach dem Blutbad kursierende Version, als Täter komme nur Kronprinz Dipendra Bir Bikram Shah in Frage, wurde von der Kommission bestätigt. Aussagen von angeblich 150 Befragten, darunter auch Überlebende aus der Königssippe, Tatortbesichtigungen, sichergestellte Gegenstände, beispielsweise die drei Mordwaffen, sowie Tests von Waffen- und Ballistikexperten belegten das. Der Alleinschuldige habe nach dem übermäßigen Konsum von Whisky und Haschisch in sein Zimmer getragen werden müssen. Dennoch betrat er in Uniform und schwerbewaffnet bald darauf wieder die Szene und begann nach ein paar Schüssen in die Luft, gezielt erst seinen Vater, König Birendra, und nacheinander sieben weitere Angehörige der königlichen Familie zu töten. Am Ende beging er mit drei Kopfschüssen Selbstmord.

Allerdings läßt der Abschlußbericht viele Fragen offen: Wie vermochte Dipendra, völlig high, drei Waffen zu handhaben? Wo waren die Palastwache und die persönlichen Bodyguards der Royals? Was war das Tatmotiv? Wurde tatsächlich an diesem Abend über Dipendras Heiratsabsichten heiß gestritten oder hatte der Prinz bereits, wie ein Gerücht besagt, heimlich Devyani Rani geheiratet, mit der er bei den Olympischen Spielen in Sydney in einem Appartement gewohnt hatte? Devyani soll in einer schriftlichen Erklärung intime Beziehungen zum Kronprinzen zugegeben haben. Was war der Inhalt der Telefonate zwischen Dipendra und seiner Geliebten kurz vor dem Attentat? Wer half dem späteren Mörder beim Anziehen der Uniform? Wieso war der jetzige König Gyanendra an jenem Abend in Pokhara? Wieso wurde dessen Sohn Paras während des Massakers kein Härchen gekrümmt und erlitt dessen Mutter nur leichte Verletzungen? Und vor allem der Selbstmord Dipendras. Er war Rechtshänder, doch die drei Kopfschüsse erfolgten von links. Kann man nach dem ersten Kopfschuß noch zweimal abdrücken? Versuchte König Birendra tatsächlich, sich mit einer Waffe zu wehren? Stimmt die Aussage von Mao-Rebellenchef Pushpakamal Dahal, Birendra habe ein baldiges direktes Treffen mit den Aufständischen gewünscht? Zuviel Nebulöses umgibt nach wie vor die Mordstory. Kein Wunder, wenn die Bevölkerung skeptisch bleibt.

Auch in den Reaktionen politischer Parteien auf den Kommissionsreport überwiegen Zweifel. Die KPN (Maoist) hielt an ihrem Standpunkt fest, Dipendra habe seine Familienangehörigen nicht ermordet, es handele sich vielmehr um eine politische Verschwörung. Diese Position hatte der Chefideologe der Maoisten, Dr. Baburam Bhattarai, in einem Beitrag für die Zeitung Kantipur erläutert. Er schrieb, das »imperialistische Komplott« hätten der indische und der amerikanische Geheimdienst gemeinsam mit Gyanendra gegen den »patriotischen Monarchen Birendra« geschmiedet. Er rief die Jugend und die Armee, in der die Maoisten durchaus Sympathisanten haben, dazu auf, den Kampf für eine Volksregierung zu unterstützen. Wegen dieser »landesverräterischen« Publikation saßen der Chefredakteur sowie zwei Vertreter der Verlagsleitung von Kantipur neun Tage lang in Untersuchungshaft. Am Freitag kamen sie gegen Kaution frei.

Aus der königstreuen Rashtriya Prajatantra Party hieß es vieldeutig: »Im Interesse Nepals haben wir keine andere Wahl, als dem Bericht zu glauben. Ansonsten würde das Land in Chaos und Anarchie versinken.« Nur die regierende Partei Nepali Congress stimmte ohne Vorbehalte dem Report zu. Damit entspricht sie dem Image, das sie sich nach dem Massaker als knieweiche Ja-Sager-Partei erworben hatte. So richtete sich der Zorn der Nepaler über den Königsmord in den ersten Tagen auch gegen die schwache Regierung von Premier Girija Prasad Koirala.

Nun muß sich zeigen, ob der Kommissionsbericht die Gemüter wirklich beruhigt oder eine trügerische Ruhe vor dem Sturm bewirkt hat, ob er dem noch immer unpopulären, neuen Monarchen zur Akzeptanz im Volk verhilft und dem durch eine Korruptionsaffäre angeschlagenen Regierungschef etwas mehr Raum zum Manövrieren verschafft. Als Zünglein an der Waage in dieser unübersichtlichen Situation könnten sich durchaus die Mao-Rebellen erweisen. Machen sie über kurz oder lang Front gegen den ungeliebten neuen König, der mit harten Bandagen gegen die Guerilla vorgehen will, oder nutzen sie die Chance, »lediglich« ihren ohnehin schon beachtlichen Einfluß unter der Bevölkerung weiter auszudehnen? Am Freitag jedenfalls hatten sie den bewaffneten Kampf, der nach der Ermordung König Birendras unterbrochen worden war, mit einem Überfall auf die Polizeistation Nagar in Westnepal wieder aufgenommen.

Hilmar König

Aus: junge welt, 18. Juni 2001

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