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Nepal auf Schlingerkurs

Koalitionsregierung unter Führung der Marxisten-Leninisten läßt auf sich warten

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die Bemühungen der beiden Parteien Nepali Congress und KP Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten) um die Bildung einer Koalitionsregierung haben bislang nicht zum Erfolg geführt. Dennoch behaupten beide Parteien, sie hätten Zusagen von 15 Parteien. Sie alle würden eine von den Marxisten-Leninisten dominierte Regierung unter deren Spitzenmann Madhav Kumar Nepal als Premier befürworten. Doch auf die Beine gekommen ist diese Formation bislang nicht, weil die Entscheidung des Madhesi Janadhikar Forums noch aussteht, dessen 53 Parlamentsabgeordnete ausschlaggebend für eine knappe Mehrheit wären.

Pushpa Kamal Dahal Prachanda, der Chef der Vereinten KP Nepals (Maoistisch), der Anfang Mai als Premier zurückgetreten war, aber weiter die Regierungsgeschäfte führt, erklärte am Montag (11. Mai) auf einer Politbürositzung seiner Partei, es handele sich um »schwache politische Parteien«, die sich gegenwärtig um eine alternative Koalitionsregierung bemühen. Eine Regierung, die das Wählermandat ignoriere und das Parlament umgehe, sei »bedeutungslos« und nicht akzeptabel für die Maoisten. Diese stehen in Verhandlungen mit anderen Parteien, wiederum eine von ihnen geführte Koalitionsregierung zu bilden. Sie verhindern deshalb auch weiterhin Sitzungen des Verfassungskonvents, der als Parlament fungiert.

Bemerkenswert ist, daß die Marxisten-Leninisten wesentlich zu dieser Krise beigetragen haben, als sie eine Regierungsentscheidung nicht mittrugen, Armeechef General Rukmangat Katawal zu entlassen. Dieser hatte sich geweigert, die zivile Oberhoheit des Staates anzuerkenen. Die KPN (VML) verließ die Koalitionsregierung, was Prachandas Rücktritt zur Folge hatte. Sie fährt seit Jahren einen Schlingerkurs. So initiierte sie 1991 den Volksaufstand mit, der zur Etablierung der konstitutionellen Monarchie führte, war danach aber immer wieder zu Kompromissen mit dem König bereit und stellte das feudale, monarchistische Regime nicht in Frage. Sie plädiert für eine »Multiparteien-Demokratie des Volkes«, schwört auf Wahlen und lehnt jegliche Gewaltausübung ab.

Von anderen Mitgliedern des zahlenmäßig starken, aber aufgesplitterten linken Spektrums in Nepal werden die Marxisten-Leninisten als »Abweichler« und »Revisionisten« betrachtet. Auch gegenüber den Maoisten offenbarten sie bislang eine ambitiöse Haltung. Sie holten diese zwar 2006 mit an den Verhandlungstisch, gaben aber nie ihr Mißtrauen auf und schätzten deren Forderungen nach Ende der Monarchie und Proklamation einer Republik sowie der Schaffung eines Verfassungskonvents als zu radikal ein. 2008 lehnten sie eine von Prachanda angstrebte Wahlallianz ab. Nach dem Wahlsieg der Maoisten tat sich die KPN(VML) lange Zeit schwer, diesen zu akzeptieren. Sie kollaborierte über Monate mit dem Nepali Congress, um die Etablierung einer von den Maoisten dominierten Regierung zu verhindern. Schließlich schwenkte sie wieder um und ging mit den Maoisten und den Madhesis der Terai-Region in die Regierung.

Nun macht sie mit dem bürgerlichen Nepali Congress wieder gemeinsame Sache und will ihren Exgeneralsekretär Madhav Kumar Nepal, der bei den Wahlen keinen Abgeordnetensitz erhielt, zum Premier machen. Nicht nur die Maoisten, die aus ihrer revolutionären Grundhaltung keinen Hehl machen, sondern auch ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft verfolgen den Schlingerkurs der Marxisten-Leninisten mit wachsender Besorgnis und Verärgerung.

* Aus: junge Welt, 14. Mai 2009


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